15 Jahre FOLSOM EUROPE – Eine einzigartige Geschichte

Der ehemalige FOLSOM EUROPE e.V. Vorstand v.l.n.r. Volker Spahn, Alain Rappsilber, Daniel Rüster und Jürgen Rentzel

Ein Rückblick von Daniel Rüster.

Um die Jahrtausendwende flog ich als großer USA-Fan sowohl privat als auch beruflich ständig über den großen Teich. Die Leder-Szene dort beeindruckte mich sehr, war sie damals doch sehr anders als bei uns in Europa. Zu der Zeit gab es noch viele Lederbars, nicht selten mit großen Patios, wo man am Wochenende gern auch tagsüber zusammenkam und die Sonne Kaliforniens oder Floridas genoss – in vollem Outfit mit dem Bier in der Hand.

Der ehemalige FOLSOM EUROPE e.V. Vorstand v.l.n.r. Volker Spahn, Alain Rappsilber, Daniel Rüster und Jürgen Rentzel

Zweimal im Jahr kam die Szene zudem zu großen Straßenfesten in San Francisco zusammen: zu FOLSOM STREET FAIR und der kleinen Schwester DORE ALLEY. Auch in New York gab es schon lange den illegalen aber geduldeten Folsom-Ableger FOLSOM STREET EAST. Dieses entspannte Zusammenkommen von Lederkerlen unter freiem Himmel kannten wir in Europa so kaum. Hier ging man nachts aus, klingelte an einer schweren Tür und verschwand in einer Bar mit abgeklebten Fenstern. Auf meinen Rückflügen überkam mich daher oft die Wehmut und die Frage, warum wir solche Events eigentlich nicht in Europa hatten.

Als dann zwei gute Freunde das Event CLAW in Cleveland starteten, was innerhalb kürzester Zeit zu einem großen Erfolg wurde, da war mir klar, dass es gar nicht viel braucht, um einfach selbst loszulegen: Eine zündende Idee, ein gut geplantes Konzept und ein paar Männer, die meine Leidenschaft und meine Ideen teilen. Im Jahr 2003 war es dann soweit: Ich kontaktierte Folsom Street Events in San Francisco und vereinbarte für den Herbst ein Meeting, bei dem ich das Konzept für einen europäischen Ableger vorstellte und schließlich die Kalifornier überzeugte, uns die Lizenzrechte für FOLSOM zu überlassen.

FOLSOM EUROPE Straßenfest 2006

Das Konzept erstellte ich gemeinsam mit Jürgen Rentzel, der damals als Redakteur der BOX für die Leder- und Fetischszene verantwortlich war und hervorragend in der europäischen Szene vernetzt war. Ich stellte ihm meine Idee vor und er war sofort Feuer und Flamme für FOLSOM EUROPE und auch mit an Bord. Im Nachhinein war dies neben den Partnerschaften mit BOX und RECON der entscheidende Schlüssel zum schnellen Erfolg, da wir durch diese beiden Partner und Jürgens gute Kontakte schnell sehr bekannt wurden.

Berlin war übrigens nicht automatisch unsere erste Wahl, wie viele stets glauben. Als wir uns zusammen setzten und das Konzept entwickelten, hatten wir drei Städte in der engeren Wahl für das Straßenfest, das stets als europäisches Event gedacht war: London, Köln und Berlin. Amsterdam verlor um die Jahrtausendwende sehr an Attraktivität für die Szene, war also gar nicht in der engeren Wahl. London erschien uns zu teuer für viele Besucher und zu schwierig für uns zu planen. Letztendlich entschieden wir uns für Berlin.

FOLSOM EUROPE 2007

Heute mögen viele danken: logisch, Berlin hat ja die größte Fetischszene. Das war aber im Jahr 2003 noch nicht so. Schöneberg hatte zwar viele erfolgreiche Bars, aber gerade einmal zwei bekannte Fetischstores: RoB und Mr. B – damals beide kleine Ableger aus Amsterdam. Der Kiez war dem Dornröschenschlaf nah, mehr und mehr Besucher besuchten damals die Bars und Stores in Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Und Köln lebte noch vom Boom der 90er Jahre, als die Stadt am Rhein die schwule Hochburg in Deutschland war. So fiel dann auch die Entscheidung für Berlin und für Schöneberg eher als Wette auf die Zukunft und die Entwicklung des Kiezes.

Dass dieser heute so boomt, hat zu einem ganz großen Teil auch mit der Ansiedlung von FOLSOM EUROPE in der Fuggerstr. zu tun – und mit dem großen Erfolg des Straßenfestes. Nach dem Startschuss gründeten wir den Verein Folsom Europe e.V. mit Sitz in Berlin.

FOLSOM EUROPE Logo 2005

Hier und da gab es noch Zweifel, ob wir es für den Herbst 2004 bereits zur Premiere schaffen würden, aber wir hatten dann einfach den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Die Terminfindung im September ergab sich im Grund genommen von selbst. Für das Feeling unter der Sonne Berlins kam nur der Sommer in Frage und wir wollten nicht in Konkurrenz zu den CSDs treten. Ursprünglich wollten wir unser Event sogar direkt an das Wochenende nach Hamburg oder vor das Wiesen-Wochenende in München legen und die beiden Wochenenden dann gemeinsam als Leder-Herbst in Deutschland vermarkten, damit vor allem die Besucher aus Übersee beide Events besuchen konnten. Aber sowohl der MSC Hamburg als auch die MLC München haben damals abgewunken. Offensichtlich teilten sie unseren Optimismus nicht, dass FOLSOM EUROPE ziemlich schnell zu einem Erfolg wird. Damals hat man uns eher belächelt.

Tja, und dann legten wir einfach los. Ein kleiner Vorstand von drei Personen, unser genialer Webmaster Lothar, ein toller Grafiker und ein paar Mitglieder mit ausländischen Wurzeln für die Übersetzung der Webpage in damals fünf (!) Sprachen.

FOLSOM EUROPE 2007

Der erste PR-Auftritt bei Mid-Atlantic Leather in Washington DC im Januar 2004 begeisterte die US-Lederkerle und die FOLSOM EUROPE Party in einer Suite des IMrL Hotels in Chicago im Mai war so geheim und legendär, dass sogar der Moderator der Wahl auf der Bühne die Besucher fragte, ob jemand wisse, wie er eine Einladung bekommen könnte. Er wurde natürlich eingeladen und wir brauchten damals viel Geschick, um die Hotel Security immer wieder zu besänftigen: So groß war der Andrang auf dem Hotelflur.

Ostern 2004 startete die weltweite Kampagne mit Postern und Flyern, später noch gefolgt vom Programmheft. In den ersten Jahren wurde die Werbekampagne stets zu Ostern gestartet und unser Programmheft in „Pocket Size“ kam in San Francisco so gut an, dass man kurz danach das Heft des großen Events in Kalifornien ebenfalls umstellte. So überraschte es wenig, dass wir sehr schnell Anzeigenkunden aus ganz Europa und den USA hatten.

FOLSOM EUROPE 2005

Zudem hatten wir uns für einen Clou bei der Gestaltung der Poster entschieden: In Anlehnung an die berühmten Poster aus Hamburg entschieden auch wir uns, das Leitmotiv zeichnen zu lassen. Kein Geringerer als Sepp of Vienna erklärte sich bereit, für eine sehr kleine Gage Jahr für Jahr das Motiv zu kreieren. Die Poster waren so beliebt, dass sie immer wieder in den Bars geklaut wurden und wir regelmäßig Nachschub leisten mussten. Erst 2012 entschied sich der Verein, wie viele andere Events auch, mit Fotomotiven zu arbeiten. Nach neun Monaten der Anspannung und harter Arbeit kam dann endlich die Erleichterung, als rund 3.500 Besucher aus aller Welt auf der Fuggerstr. feierten. Ein gelungener Erfolg für eine Premiere.

FOLSOM EUROPE wuchs schnell: Nach 5.000 Besuchern im zweiten Jahr wuchsen wir Jahr für Jahr und hatten in den Folgejahren bis 2010 zwischen 15.000 und 20.000 Besucher. Besonders beeindruckt hat uns stets die Vielfalt der Herkunft der Besucher, die von allen fünf Kontinenten nach Berlin reisten.

FOLSOM EUROPE wurde in wenigen Jahren DAS EVENT auf unserem Kontinent und ist bis heute das größte und beliebteste Lederfestival geblieben. Dies verdankte der Verein vor allem einer Hand voll engagierter Männer. 3-4 Vorstände, kaum mehr als 20 Mitglieder und ein paar Unterstützer und Helfer am Tag X waren der Kern.

Jürgen fuhr in den Nuller-Jahren stets vor Ostern durch ganz Deutschland und BeNeLux, um die Printwerbung an zahlreichen Stellen auszulegen. Ich selbst flog quer durch Europa und Nordamerika und schleppte im Laufe der Jahre Tonnen von Papier durch die Gegend, die unsere Mitglieder vorher mühsam 3 Etagen hoch in einen Kreuzberger Altbau trugen. Allein bis zu 25.000 Programmhefte pro Jahr ließen wir damals drucken. Ein Büro gab es noch nicht. Dieses ehrenamtliche Engagement war ein Schlüssel zum Erfolg.

Hinzu kam die großzügige Unterstützung der kommerziellen Szene: Gastwirte und Storebetreiber in Schöneberg, Sponsoren und Anzeigenkunden aus aller Welt. Es gab einen Boom, den man in unserer Szene kaum für möglich hielt. FOLSOM EUROPE war der Beweis, dass die ehrenamtliche Szene in enger Kooperation mit der kommerziellen Szene sehr viel bewegen kann, mehr als viele für möglich hielten.

FOLSOM EUROPE 2006

Mit dem Erfolg kamen mehr und mehr Besucher. George Michael soll zu FOLSOM extra nach Berlin geflogen sein, wenn auch sein geplanter Besuch bei der PIG Party kurzfristig abgesagt wurde. Lilo Wanders war ein Stargast so ganz ohne Allüren. Jürgen fragte sie auf einem Event in Deutschland, ob sie nicht Lust hätte, zu FOLSOM zu kommen. Sie kam – und wie. In einem extra angefertigten Fummel im Camouflage-Look. Ein Auftritt, der Vielen in Erinnerung blieb. Vor allem, weil Lilo wie alle anderen Promis auch, keinen Cent Gage bekam, nicht einmal einen Reisekostenzuschuss.

Als Charity Event hatte FOLSOM da klare Regeln und die respektierten auch all die Schärpenträger, die sich nach Berlin aufmachten. Ein gemeinsames Frühstück, ein paar Drinks, mal eine Freikarte für eine Party – das war es. Und trotzdem kamen sie in Scharen. Wir hatten fast jeden International Mr. Leather in all den Jahren und auch viele europäische Titelträger. Sie alle flogen nach dem Straßenfest heim und agierten dankenswerterweise als Multiplikatoren in der Werbung für unser Event.

Ein weiterer Grund für den grandiosen Erfolg muss man sicher bei den Partys suchen. Im ersten Jahr wäre ausgerechnet die (PROJECT) PIG Party beinahe ins Wasser gefallen. Wenige Tage vor der Premiere sprangen Oswin und Dirk von RoB Berlin ein, um dem ursprünglichen Veranstalter finanziell zur Seite zu stehen, der sich völlig übernommen hatte.

FOLSOM EUROPE 2005

Die FOLSOM Partys waren legendär. Freitags starteten wir mit der PERVERTS Party – seinerzeit im ARENA Glashaus an der Spree -, die von Mr. B veranstaltet wurde und ein herausragender Start ins Wochenende war.

Samstags dann folgte dem Straßenfest die PIG Party. Was Oswin Struik (später auch im Vorstand und leider viel zu früh verstorben) erst allein mit seinem RoB-Team und später in Kooperation mit RECON aus London auf die Beine stellte, war phänomenal.

Es war die Zeit des Umbruchs in Berlin. Jahr für Jahr konnten wir uns den Luxus erlauben, neue Locations zu buchen und die verschwitzen Kerle aus aller Welt zum Staunen bringen – wie kleine Kinder im Süßwarenladen. Internationale Top DJs wie Jack Chang und Manuel Carranco brachten die Körper in den skurrilsten Orten in Wallung: Ob ehemalige Zigarettenfabrik, SED-Weinkeller, DDR-Kader-Schulungszentrum, Dampfwerk oder gleich ganze Kraftwerke – die Resonanz war überwältigend. Die Tanzflächen und riesigen Playgrounds waren einzigartig.

Vor allem Besucher aus den USA kannten solche Events seit den 80er Jahren nicht mehr. Der damalige Vorstand aus San Francisco kam daher oft persönlich gern nach Berlin, denn solche Partys gab es damals selbst bei FOLSOM in San Francisco nicht. Für den Verein waren diese Partys enorm wichtig. Sie brachten immer neue Besucher, sie wurden von unseren Partner durchgeführt und brachten über Lizenzgebühren und Spenden Erträge für den Verein, die dieser dann großzügig verteilen konnte.

Und so war der kleine Verein mit seinen gut zwanzig Mitgliedern in der Lage, in den letzten 14 Jahren jährlich fünfstellige Beträge an Vereine und Gruppen zu spenden, die sich der Information, Betreuung und Pflege rund um das Thema HIV/Aids kümmern. Zahlreiche Vereine aus ganz Europa (vo

FOLSOM EUROPE 2017

n der Ukraine bis nach Spanien) haben hiervon profitiert.

 

In 15 Jahren verändert sich natürlich auch viel. Der erste große Schnitt kam nach sieben Jahren. 2010 war für Jürgen und mich das letzte Jahr in der Organisation. Von der ersten goldenen Generation, die erfolgreich die Grundlage für den bis heute andauernden Erfolg gelegt hat, ist heute nur noch Alain Rappsilber im Vorstand.

Und so erhielten in den Jahren 2006 bis 2009 sowohl FOLSOM EUROPE als auch ihre Macher Oswin, Jürgen und ich eine anerkennende Auszeichnung für unsere Arbeit und den Erfolg: Den PANTHEON Award – den Oscar der US Lederszene. Der neue Vorstand hatte ein gut eingespieltes Event übernommen, aber auch mit Altlasten zu kämpfen.

Viele erinnern sich noch an die Kampagne gegen FOLSOM EUROPE in den ersten Jahren, angeheizt von der CDU, der BILD und einem „Ein-Mann-Institut“ der ultralinken Szene.

Wir entschieden uns in Absprache mit der Stadt Berlin und dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit – die FOLSOM stets unterstützen – gegen diese Kampagne rechtlich vorzugehen. Und nach vielen Jahren und vielen Instanzen des Erfolges verloren wir dann völlig unerwartet aufgrund eines speziellen Paragrafen der Berliner Landesverfassung. Schweren Herzens entschieden wir uns damals, den letzten Schritt nach Karlsruhe nicht zu gehen. Lieber ein Ende mit Schrecken…

Eine teure Erfahrung für den Verein und seine Protagonisten. Doch auch damals halfen uns unsere Partner aus der Berliner Szene, denn die Spenden wurden auch in finanziell schwierigen Jahren stets an andere Initiativen verteilt. Die Rechtskosten sind längst beglichen, die dritte Generation an Vorstandsmitgliedern zeichnet sich heute für den Verein und das Straßenfest verantwortlich.

FOLSOM EUROPE 2013

Es gab Rückschläge und Schwankungen, auch bei den Besucherzahlen.

Nach einem kleinen Tal mit Besucherrückgang steigt die Zahl der Gäste aus aller Welt in den letzten Jahren wieder an. Die sechsstelligen Besucherzahlen wie in San Francisco wird man in Berlin nie erreichen. Denn anders als in Kalifornien ist FOLSOM EUROPE stets ein Event von und für die Leder- und Fetischszene geblieben und die BesucherInnen (leider immer noch zu wenig Frauen und Trans*) wissen es sehr zu schätzen, dass das Straßenfest nicht von Eventtouristen überlaufen wird, die so gar keinen Bezug zur Szene haben.

Der Verein geht neue Wege, hat neue Dinge ausprobiert und mit der englischsprachigen Comedy-Bühne ein weiteres Highlight kreiert, das es so in unserer Szene vorher nicht gab. Der Luxus der freien Auswahl an Party-Locations ist längst Geschichte.

Heute muss man in Berlin froh sein, wenn man Jahr für Jahr eine Location bekommt, die mehrere Tausend Männer aufnehmen kann und zudem noch die passende Atmosphäre für die Darkrooms und Tanzflächen bietet. Darin unterscheidet sich Berlin heutzutage kaum mehr von London oder New York. Kaum verändert hat sich hingegen die kleine Zahl derer, die hinter dem Verein stehen und das Straßenfest Jahr für Jahr allen Widrigkeiten zum Trotz auf die Beine stellen.

In der Hauptstadt haben die Vereine deutlich weniger Anziehungskraft auf die Leder- und Fetischkerle als in kleineren deutschen Städten. Dafür hat Berlin einfach ein zu großes Angebot und für die Jungs ist es eben bequemer, sich irgendwo entertainen zu lassen und dafür zu bezahlen, anstatt mal ehrenamtlich die eine oder andere Stunde zu helfen.

Solange es aber immer noch genügend Männer gibt, die sich einfach mal beim Verein melden und entweder als Mitglied oder als Helfer zwei Stunden ihrer kostbaren Zeit beim Auf- oder Abbau einbringen, solange wird FOLSOM EUROPE auch weiterhin der Höhepunkt der Lederszene Europas sein.

Die 15. Auflage im September 2018 wird ganz sicher nicht das letzte Jubiläum bleiben.