Jeder Einzelne zählt in unserer Community

Selbstzweifel sind menschlich und begleiten uns durch den Alltag. Im richtigen Maße sind sie nützlich, um unser Eigenbild zurechtzurücken. Wenn die Selbstzweifel allerdings außer Kontrolle geraten, können sie unser Leben schwer machen. Während dem Folsom-Wochenende in Berlin hatte ich ein sehr persönliches Gespräch mit jemandem, der daran zweifelte, zu diesem Fetisch-Event und zur Community zu gehören. Er habe kein passendes Outfit, nicht die richtigen Stiefel, ist nicht auf Augenhöhe mit anderen und überhaupt fühle er sich dem großen Ganzen nicht gewachsen. 

Damit ist er nicht allein. Eine Instagram-Story in meinem Feed lautete kürzlich: „Kennt jemand das Gefühl, nicht in die Fetisch-Umgebung zu passen? Ich weiß nicht, warum ich so fühle. Vielleicht hat es mit dem vielen Folsom Content zu tun. Ich habe einfach dieses überwältigende Gefühl, dass man mich bei Events oder Socials nicht mag, oder sogar als Sonderling oder Einzelgänger in der Szene angesehen zu werden. Manchmal fühle ich mich wie ein Außenseiter, der eher hineinschaut, statt Teil der Fetischszene zu sein.“ Ich kann diese Gefühle durchaus nachvollziehen, vor allem bei einem derart großen Fetisch-Event wie der Folsom Street Fair in Berlin und der dort vorherrschenden Reizüberflutung an Lederkerlen, Rubbermännern, Puppies und allen erdenklichen Fetischvorlieben. Auf der Fuggerstraße kann man mühelos untergehen in den Massen und leicht möglich, dass sich der eine oder andere nicht dazugehörig fühlt. Aber zugehörig zu was oder zu wem? Sei auf deine eigene Weise schön. Schönheit und Zugehörigkeit hat in erster Linie nichts mit Aussehen zu tun. Das zählt vielleicht wenn es darum geht, Aufmerksamkeit auf sich ziehen. In weiterer Folge ist es jedoch viel wichtiger, wie man als Mensch ist und wie man mit anderen umgeht. Zudem sagen Taten mehr als Worte. Leider wird das Image für so viele zum alleinigen Bestandteil ihrer Entwicklung. Allerdings ist die Selbstdarstellung der einfache Teil von Fetisch und BDSM. Was viel schwieriger zu entwickeln ist, sind jene kompromisslosen Normen von Fachwissen, Selbsterkenntnis, Empathie, Vertrauen – alles Dinge, die in eine Reihe von ethischen Verhaltensprinzipien im zwischenmenschlichen Bereich wie auch bei BDSM einfließen.  

Solche Events zeigen jedoch auch die bunte Vielfalt unserer Fetisch-Community, in der jeder so sein kann und darf, wie er ist. Und wenn man nicht hier Gleichgesinnte findet, wo sonst? Verständlicherweise ist es nicht leicht, den Mut aufzubringen und anders zu sein. Aber eigentlich sollte die Angst davor, wie alle anderen zu sein, größer sein als die Angst, man selbst zu sein. Angst beginnt im Kopf, Mut ebenso! In den Großevent-Massen ist es verhältnismäßig leicht, auch als gefühlter Einzelgänger in die Fetisch-Welt einzutauchen, zu schnuppern und sich ein eigenes Bild zu machen. Und genauso einfach ist es, dort ein Gespräch zu beginnen. Denn wer Charakter, Respekt und Anstand besitzt, freut sich über ein Hallo und eine Unterhaltung. Eine Stärke unserer Community ist die Integration von jedem. Wie langweilig wäre die Fetisch-Szene, wenn sie nur aus muskelgestählten Langlitz-Kerlen bestünde, oder aus gertenschlanken Rubberguys oder verspielten Jungs mit Puppy-Masken. Ist nicht jeder von uns ein Sonderling, der durch seine Einzigartigkeit einen wichtigen Teil des Gesamtbildes ausmacht? 

Ein weiteres Gespräch, das ich mitverfolgt habe, drehte sich um ein „anderes Level von Fetisch“. Bis zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass es unterschiedliche Levels in unserer Community gibt, und ich glaube auch nicht wirklich an deren Existenz. Natürlich gibt es jene, die sich in extrovertierter Finesse herausputzen, um in schummrigen Bars der Mittelpunkt der abgeschotteten Fetisch-Minigalaxie eines Möchtegernuniversums zu sein. Aber unser Fetisch-Leben ist doch eigentlich eine Reise und kein Wettkampf. Statt neue „Levels“ zu erreichen, ist es wertvoller, neue Erfahrungen zu machen und spannende Erlebnisse zu genießen. Und nicht jede Station der Reise muss uns zwanghaft gefallen. Wir sollten die uns gebotene Möglichkeit nutzen, um auszusteigen und den Aufenthalt zu genießen. Wenn es uns nicht gefällt, können wir jederzeit wieder einsteigen und unsere Reise fortsetzen. Weiterfahren bis zur nächsten Station und motiviert auf Erkundungstour gehen. Das Leben und unsere Reise sind zu kurz, um unglücklich zu sein, während das Glück vielleicht nur eine Haltestelle entfernt ist… 

Von Thorsten Buhl

Bild: Thorsten Buhl