(Queere-) Sexarbeit – Eine Einordnung und politische Bilanz nach fast zehn Jahren
mit Kommentaren von Sexarbeiterin Kristina Marlen und Queeraktivistin Margot Schlönzke
Grundsätzlich steht die Queere Community der Sexarbeit viel offener gegenüber als die Heterowelt. Das liegt sicher daran, dass wir aufgrund unserer eben anderen eigenen Entwicklungsgeschichte der Identitätsfindung unsere Sexualität häufiger und auch anders reflektiert haben bzw. mussten als der heterosexuelle cis Mensch.
So ganz haben wir die Werte von Mama und Papa aber nun auch nicht verdrängt, denn ich nehme deutlich wahr, dass ich zum Beispiel bei der Partnerwahl aufgrund meines Berufes auf mehr Ablehnung stoße, als es früher der Fall war, als ich noch im Marketing gearbeitet habe. Ein Sexkaufverbot würde dies im Übrigen ebenfalls verstärken, denn in Ländern, wo es bereits das Sexkaufverbot gibt, werden nicht selten Ehemänner der Zuhälterei bezichtigt. Es reicht nämlich hier bereits, wenn man von den Erlösen der Sexarbeit gemeinsam lebt.
Grundsätzlich war die Lage für alle Sexarbeitenden in den Coronajahren besonders schwierig – unsere Arbeit, die für viele von uns die Lebensgrundlage bildet, war schlicht verboten. Nach den ersten Wellen und nachdem alle anderen Berufsgruppen schon wieder arbeiten durften, blieb die Sexarbeit auch noch unverhältnismäßig lange untersagt. Sexarbeiter*innen haben entgegen anderer Gerüchte keine ausreichend starke Lobby – mit denen kann man es ja machen. Natürlich hat Sexarbeit während der Pandemie trotzdem weiterhin stattgefunden, denn weder lassen sich Bedürfnisse verbieten und schon gar nicht hatten alle die finanziellen Reserven, um ein monatelanges Arbeitsverbot auszusitzen. Mit der Ausnahme von trans* Frauen, sind queere Sexworker schon immer häufiger in Hotels und Privatwohnungen als in Bordellen anzutreffen und waren daher auf die illegale Phase möglicherweise etwas besser eingestellt. Auffallend ist, dass die cis- und trans* weibliche Sexarbeit mit männlichen Kunden, die sich in der Pandemie auch in Privatwohnungen sowie Hotels verschieben musste, bis heute zu einem sehr großen Teil dort geblieben ist. Das verschlechtert natürlich auch die generelle Erreichbarkeit von Sexarbeitenden hinsichtlich Beratung, Schutz und Aufklärung. Und: Überall ist zu beobachten, dass die Schere größer wird. Auf der einen Seite Professionalisierung mit Webseite und allem ChiChi und auf der anderen Seite prekäre Arbeitsbedingungen und Preisverfall auf den Straßenstrichen.
In der mann-männlichen Sexarbeit beobachten wir laut einer vom Berufsverband Sexarbeit in Auftrag gegebenen Auswertung bei HUNQZ seit Covid einen 20%igen Zuwachs. Die Zahlen dort steigen auch 2022 weiterhin – gemessen an den Vorjahren – unverhältnismäßig stark an und das lässt den Schluss zu, dass Sexarbeit noch immer besonders dann an Bedeutung gewinnt, wenn sich Krisen anbahnen.
Generell ist es in Berlin so, dass der Online-Boom und vor allem die Gentrifizierung die Straßenstriche zurückdrängt. Das können wir deutlich auf der Kurfürstenstraße sehen. Der mann-männliche Straßenstrich erfuhr Selbiges, zum Beispiel ist der durch Christiane F. bekannt gewordene Strich rund um den Bahnhof Zoo nicht mehr existent.
Im Fuggerkiez sowie zum Teil in den Cruisinggegenden von Berlin basiert das Geschäft mittlerweile im Wesentlichen auf Migrationsprostitution und ist familiär organisiert. Wie evtl. einige wissen, wohne ich ja ganz in der Nähe und habe dort selber Kontakte geknüpft. Daher weiß ich, dass da dann tatsächlich die Onkel, die selber lange Sexarbeit gemacht haben, mit ihren Neffen aus Rumänien und Bulgarien im Sommer herkommen, um Geld zu verdienen. Interessanterweise sind die Männer idR heterosexuell. Darunter sind leider auch Minderjährige. Aufgedeckt werden hier jährlich 10-20 Fälle. Ich finde es wichtig, bei prekärer Sexarbeit gezielt aufsuchende Präventivmaßnahmen zu unterstützen, zum Beispiel das Projekt Subway von Hilfe-für-Jungs, die sich auch abseits von Minderjährigen um vulnerable Männer in der Sexarbeit kümmern.
Aber schauen wir uns Queere Sexarbeit mal genauer an und ordnen sie zu der uns so bekannten „heteronormativen Sexarbeit“ ein:
Die zahlenmäßig stärkste Gruppe in der queeren Sexarbeitswelt sind trans*- Frauen. Aber es ist nicht nur die trans Frau im Fokus, sondern ebenfalls auch einfach feminine- oder nicht binäre Menschen, die im Alltag als Mann gelesen werden. Androgynität oder das Spielen mit Geschlechterrollen und Stereotypen entdecken immer mehr Kundinnen.
Im Netz finden sich Seiten, die sich auf diese Suchen spezialisiert haben, jedoch wird auf den meisten Seiten sehr transfeindliche Sprache genutzt. Wenn in der Politik über Sexarbeit gesprochen wird, werden zudem trans Sexarbeiter*innen kaum beachtet. Trotz dieser Diskriminierungen sind überdurchschnittlich viele trans*-Menschen in der Sexarbeit, denn ein Wohlfühlfaktor ist, dass hier explizit nach dem Merkmal „Trans“ gesucht wird.
Die zweitstärkste Gruppe ist die mann-männliche Sexarbeit – die einzige Ausprägungsform der deutschen Sexarbeit, die sich tatsächlich gut in Zahlen messen lässt. Das liegt daran, dass abgesehen vom nicht-deutsch- oder englischsprachigen Straßenstrich sämtliche mann-männliche Sexarbeit über das Portal HUNQZ, einer Unterseite von Gayromeo, generiert wird. Grindr, Tinder und Co. löschen Sexwork-Profile sofort und auch alle anderen Portale lohnen in Deutschland nur minimal. Mann-männliche Sexarbeit ist meiner Erfahrung nach in ihrer Form noch etwas „direkter“ oder „abgeklärter“ – eben „unter Männern“.
Auch lesbische Frauen sind paradoxerweise oftmals in der Hetero-Sexarbeit zu finden.
Frauen, die ausschließlich Frauen als Kunden haben, bilden zahlenmäßig den kleinsten Teil der queeren Sexarbeit ab. Sexarbeiterin Kristina Marlen, als eine der wenigen sehr erfolgreich in dem Gebiet, erklärt es so:
„Lesbische Frauen oder queere Menschen, die weiblich gelesen werden, sind als Kundinnen schwer zu gewinnen – dafür gibt es noch keine breite Infrastruktur. Um Frauen als Kundinnen zu gewinnen, musste ich stark arbeiten, um das Angebot überhaupt glaubwürdig zu machen und „an die Frau“ zu bringen. Frauen fühlen sich (zu Recht) nicht als Kundinnen für sexuelle Dienstleistungen angesprochen – ein Zeichen dafür, wie patriarchal die Branche größtenteils strukturiert ist. Frauen sind allerdings begeisterte Kundschaft, wenn sie das Angebot erst einmal auf sich beziehen. Das sieht man im Tantrabereich, aber auch im BDSM sowie gegenseitige Berührungen, wie ich sie anbiete. Die Nachfrage ist erstaunlich hoch und Frauen nutzen das Angebot dann rege. Wenn weibliche Kundschaft sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nimmt, zeigt sich, was eigentlich für jeden Sex gilt, ob bezahlt oder unbezahlt: Wenn er einvernehmlich ist, ist er wunderbar! Wenn Frauen Kundinnen sind, entfällt das Täter-Opfer-Narrativ, das wir auf die Sexarbeit projizieren. Das irritiert viele, daher finden sie es undenkbar. Wie absurd es ist, dass wir Kunden sexueller Dienstleistung per se Gewaltbereitschaft unterstellen, zeigt sich in diesem Moment.“
Und dann begegneten mir in den letzten Jahren immer wieder Menschen, die ein Sexkaufverbot fordern, um angeblich hiermit Kriminalität zu bekämpfen. Das ist rein populistisches Gedankengut – der Versuch, für komplexe Fragestellungen einfachste Lösungen zu finden. Der Ansatz, die Nachfrage durch ein verändertes moralisches Verständnis für Sexarbeit sowie durch ein Verbot für Kundinnen zu erzwingen und damit Kriminalität einzudämmen, könnte direkt von der AfD kommen.
Auch wenn sie nicht „direkt“ bestraft werden, werden Sexarbeitende hierdurch in die Illegalität getrieben und darüberhinaus verstärkt unerreichbar für Beratungs- und Unterstützungsangebote. Ein jeder mag sich vorstellen, wie sich die eigene Arbeit gestalten würde, wenn die Kunden im eigenen Betrieb beim Kauf bestraft würden.
Wir sehen das Ergebnis des Sexkaufverbots in anderen Ländern: Sexarbeitende werden aus Taxis geworfen, Treffen mit Kunden müssen in dunklen Waldstücken vereinbart werden, weil der Kunde die Strafe fürchtet. Jeder Arbeitsplatz wird illegal für uns. Es bleiben uns häufig nur die Kunden übrig, die eben bereit sind, sich strafbar zu machen. Soll das echt jemandem helfen? Laut Befürwortern sollen Gesetze, die den Kauf von sexuellen Dienstleistungen kriminalisieren, vor allem eines tun: Verletzliche Personen schützen und sexuelle Ausbeutung verhindern. Studien von Menschenrechtsorganisationen, LGBTI+-Organisationen und Organisationen zur Bekämpfung des Menschenhandels vermelden allerdings seit Jahren, dass in der Praxis das Gegenteil zutrifft.
Vor allem marginalisierte Menschen – zum Beispiel Migrantinnen, die mit Abstand größte Gruppe in der Sexarbeit – werden durch ein Sexkaufverbot massiv in ihren Rechten geschwächt, ihr Risiko von Gewalt und Ausbeutung betroffen zu sein erhöht sich massiv.
Das Einzige, was durch die Verbote vielleicht erfolgreich bekämpft wird, ist die Sichtbarkeit von Sexarbeit.
Aber das hilft ja den Menschen, die sowas fordern, vielleicht schon ausreichend weiter, um ihr von Prüderie geprägtes Weltbild Wirklichkeit werden zu lassen.
„Feministinnen“ die ein Sexkaufverbot fordern, zeichnen immer wieder das stereotype Bild eines bestimmten Opfers: Die junge, unschuldige, ausländische Frau, die betrogen und zur Prostitution in Deutschland gezwungen wird. Sie wird geschlagen und ständig überwacht, so dass ihre einzige Hoffnung die Rettung durch die Polizei ist. Durch diese enggefassten Darstellungen „idealer Opfer“ – vorzugsweise junge Migrantinnen – werden im Diskurs über „moderne Sklaverei“ rassistische Erzählungen verankert und Betroffenen jegliche Entscheidungsmacht abgesprochen. Sexarbeit wird mit Menschenhandel verschmolzen, ohne die strukturellen und kausalen Faktoren von Ungleichheit in Frage zu stellen.
Bei der Freiwilligkeit müssen wir natürlich grundsätzlich hinterfragen, was „freiwillig“ bedeutet in unserer kapitalistischen Gesellschaft. Jeder, der morgens zur Arbeit fährt weiß, dass die Fahrt eben monetär begründet ist. Sicherlich gibt es Menschen wie mich, die ihre Arbeit trotz eines Lotto-Gewinns weiter machen würden, aber ich sehe mich in diesem Punkt als nicht repräsentativ.
Apropos repräsentativ – die klassische Vorstellung von Sexarbeit als „kriminelles Milieu“ ist genauso falsch wie die Annahme, dass man seine Arbeit lieben muss, um sie freiwillig auszuüben. Um eine realistische Einschätzung der Fälle von sexueller Ausbeutung in Deutschland zu bekommen, kann jeder online das aktuelle Bundeslagebild des BKA zu Menschenhandel und Ausbeutung lesen. Das Dunkelfeld ist sicher größer, aber das trifft auf Missstände in anderen niedrigschwelligen Berufen wie zum Beispiel Erntehelfer oder aber auch andere Care-Berufe wie die Altenpflegerin ebenfalls zu.
In der sichtbaren Sexarbeit, also am Straßenstrich, arbeiten leider oft besonders vulnerable Menschen und teils unter sehr schlechten Umständen. Das wird medial hochgepusht, macht aber nur einen kleinen Teil der Sexarbeit in Deutschland aus – das Gros der Sexarbeit findet in Bordellen und Privatwohnungen außerhalb des Sichtfelds der Medien statt.
Dragqueen Margot Schlönzke, Queeraktivistin aus Berlin, hat hierzu folgende Erfahrung und Meinung: „Ich bin in der Nähe des Straßenstrichs aufgewachsen, also direkt in Berlin an der Kurfürstenstraße. Es gab mehr als genug Berührungspunkte bereits in der frühen Kindheit von mir und meiner Schwester mit der dortigen Sexarbeit. Die Sexarbeit erschafft keine Probleme oder verschlimmert sie. Probleme liegen in der Motivation, denn wenn z.B. Geld für die Drogensucht organisiert werden muss, dann ist Sexarbeit oft die einzige Möglichkeit und dann sicher alles andere als ein wünschenswerter Lebensentwurf. Allerdings würde bei einem Verbot der Sexarbeit die Drogensucht bleiben.
Für viele migrierte (trans-)Frauen ist es hier trotz der niedrigen Preise auf dem Strich immer noch ein gutes Einkommen gemessen an den Möglichkeiten in der Heimat – auch wenn wir das immer unangenehm anzusehen empfunden haben. Sicher ist das niedrige Niveau etwas, was uns alle stören mag, das findet sich allerdings auch in anderen Bereichen – insbesondere wenn die Arbeit eben niedrigschwellig ist. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass die Sexarbeit grundsätzlich verwerflich ist – zumindest habe ich das so erlebt.“
Ich kann nicht sagen, dass man nicht mit mir geredet hat in den letzten zehn Jahren. Als Prostituierte bekommst du schnell ein Mikrofon unter die Nase gehalten, aber ich musste höllisch aufpassen mit wem ich was bespreche, denn oftmals waren die Reporter auf der Suche nach simplen O-Tönen, um diese dann als Einspieler für eine Kampagne gegen Sexarbeit zu nutzen und mich als Lobbyist darzustellen. Beliebt war auch „skrupellos“, denn wenn man nichts verbieten will, dann bin ich automatisch mitverantwortlich für die Kriminalität, die in der Sexarbeit passiert. Mindestens wurde ich als „die wenig zurechnungsfähige Ausnahme“ dargestellt mit einem privilegierten und elitären Wesen. Auch wenn ich noch so viel früher selber auf dem Strich gearbeitet habe – egal.
Aber ich werde weiter machen. Weiter glücklich für Geld ficken und nahe an der Politik mit Presse für mehr statt weniger Rechte in der Sexarbeit kämpfen und habe hier kompetente Befürworter wie z.B. Amnesty international, die deutsche Aidshilfe und den LSVD.
Sexarbeit ist Arbeit.