Leder und Fetisch im Film

Der Welterfolg „Fifty Shades of Grey“ hat im letzten Jahrzehnt einem Donnerschlag gleich mit über 100 Millionen verkauften Buchexemplaren sowie ähnlich vielen Kinokarten das Thema BDSM ins Bewusstsein vieler unbedarfter Hausfrauen und den kulturellen Mainstream gebracht. Während Kritiker berechtigterweise die literarische Qualität der Romantrilogie in Frage stellten, hatten erfahrene BDSM-Praktizierende einzuwenden, dass es sich bei der Geschichte tatsächlich eher um körperlichen und seelischen Missbrauch handelt, denn Freiwilligkeit bzw. das Einvernehmen aller Beteiligten ist ein Grundsatz des BDSM. 

Doch aller Kritik zum Trotz scheint die heterosexuelle Reihe einen Nerv getroffen und sogar zu einigem Ausprobieren oder Nachahmen angeregt haben, wenn auch bestimmt in so einigen Bereichen eher verschämt oder heimlich, um das eigene Sexleben mit ein bisschen Bondage oder ein wenig Soft-SM aufzupeppen. Sexspielzeuge der ein oder anderen Art werden dank Beate Use ja bereits seit genau 60 Jahren zumindest kommerziell erfolgreich zur Ehehygiene eingesetzt, wobei dem Thema BDSM und Fetisch nach wie vor etwas Anrüchiges, Verrufenes anhaftet – und genau das war es, dem die britische Autorin E. L. James den phänomenalen Erfolg verdankt: Der Nervenkitzel, sich überhaupt in dieser Form mit Sexualität zu beschäftigen. Der Reiz, sich eigenen „abweichenden“ erotischen Fantasievorstellungen hinzugeben, erhöhte bestimmt den Unterhaltungswert der romantisch-kitschigen Darstellung. 

Die Leserschaft der BOX wird wohl zustimmen, dass Fetisch Auslebungssache ist, und aus diesem Grund trotz einiger Lächerlichkeit bis zu einem gewissen Grad zu schätzen wissen, dass das Werk von Frau James die Beschäftigung mit und Ausübung von BDSM und Fetisch ein weiteres Stück im Mainstreambewusstsein entspannt hat. Andererseits wäre in dieser Hinsicht eine authentischere Beschäftigung mit dem Thema wünschenswert und zudem mehr ansprechende künstlerische Auseinandersetzungen aus einem queeren Blickwinkel. 

Etwas, dem man ähnlich entgegenfiebern kann wie vor fünf Jahren dem Biografiespielfilm „Tom of Finland“, der die Lebensgeschichte von Touko Valio Laaksonen erzählte. Der nordische Zeichner, der ausgehend von den USA als Tom vermarktet wurde, hat mit seinen berühmten und geschätzten homoerotischen Illustrationen von hypermaskulinen, häufig in Leder gekleideten Kerlen seit den späten 1950ern das Bild der schwule Nachkriegsgenerationen geprägt. Dieses setzt sich auch im Selbstverständnis der BOX fort und lässt sich im persönlichen Ausdruck schwuler Männer bis zum Folsom und in die Jetztzeit nachverfolgen. Seit den 2000ern erfahren Toms Zeichnungen auch jenseits der queeren Subkultur größere Beachtung und künstlerische Wertschätzung. Zwar mag der Film von Dome Karukoski, der im Anschluss das Leben von J.R.R. Tolkien verfilmte, ein paar Schwächen haben, doch setzt er dem Großvater der Lederkerle ein würdiges Denkmal, denn dessen Erfolg ist auch eine Heldengeschichte gegen die Nachkriegsunterdrückung Homosexueller.  

Bei aller realgeschichtlicher Dramatik kommt zum Glück die Bebilderung einiger von Toms Fantasien nicht zu kurz, welche zu sehen eine wahre Freude ist. 

Das kann man leider nicht unbedingt von allen der recht überschaubaren Menge von thematischen Spielfilmen behaupten. Während im pornografischen Segment jede Vorliebe, jede Spielart berücksichtigt wird, bleibt die Darstellung von Leder, Fetisch und BDSM im „künstlerischen“ Film weit hinter den Wünschen zurück. Angefangen hat die Darstellung auch leider mit einer Kontroverse, die aufgrund der Anrüchigkeit des Sujets damals zu erwarten gewesen war und möglicherweise die weitere Thematisierung gehemmt hat: 

Der heterosexuelle Drehbuchautor und Regisseur William Friedkin, der 1970 bereits mit „Die Zarten und die Harten“ (Originaltitel: „The Boys in the Band“) ein schwules Theaterstück verfilmt und im Anschluss mit „Brennpunkt Brooklyn“ (OT: „The French Connection“) sowie „Der Exorzist“ große Erfolge gefeiert hatte, verfilmte 1980 den zehn Jahre vorher erschienenen, ziemlich unbekannten und von Kritikern verrissenen Krimiroman „Cruising“ des ebenfalls heterosexuellen New-York-Times-Reporters Gerald Walker. Die Hauptrolle übernahm Al Pacino, der nach „Der Pate“ und „Serpico“ ein bekanntes Zugpferd für Polizeifilme war. An und für sich wäre es eine gute Sache gewesen, dass sie sich als einige der wenigen mit queeren Perspektiven beschäftigten, wäre nicht bereits das Buch voller Selbsthass und Homophobie gewesen, nämlich dass das fremdartige Schwule ansteckend sei – heutige aufgeklärtere Leser können dies vielleicht durch die Erzählperspektive und die damalige Zeit relativieren. 

Einerseits milderte Friedkin die Homophobie des Buches ab und verquickte die Geschichte mit einer echten Mordserie in Greenwich Village, doch andererseits verlagerte er die Handlung aus den Saunen der Endsechziger in die New Yorker Leder- und SM-Szene, die sich während der Siebziger im Untergrund entwickelt hatte, jedoch selbst vielen Schwulen bis dato unbekannt war. Mit einem Mal war die düstere, exotische, vorher noch nicht gesehene Kulisse dieser Bars und Darkrooms, obgleich nachgebaut, das provokante Alleinstellungsmerkmal eines Produktes der Hollywoodmaschinerie, dessen Verkaufsargument Tabu und eine für diese Zeit ungewohnt grafische Gewaltdarstellung waren, missbraucht für die Schaulust und den Nervenkitzel, breitgetreten im Fokus der medialen Berichterstattung und Diskussion. 

Schwulengruppen liefen Sturm gegen die bevorstehende Diffamierung, denn seit Stonewall hatte man sich mühevoll ein besseres Bild in der Öffentlichkeit aufgebaut. Nun sollte abermals das alte Stereotyp der lüstern-psychopathischen Schwulen bedient werden: bösartig mordende Ledervampire des Meatpacking Districts. Deshalb sorgten Aktivisten schon während des Drehs von Außenszenen mit laut- und lichtstarken Protesten für Produktionsschwierigkeiten. 40 Minuten, darunter explizite Sexszene, wurden für die Freigabe geschnitten, doch letztlich floppte der Film an den Kinokassen, wurde für drei goldene Himbeeren nominiert und verstaubte in den Archiven, selbst von Pacino totgeschwiegen, bis er 2005 von einer neuen Generation auf DVD wiederentdeckt wurde. 

Mit nunmehr über 40 Jahren Abstand kann man „Cruising“ heutzutage etwas weniger erhitzt betrachten und möglicherweise trotz aller Gewalt die „historische“ Darstellung von Ledermännern studieren, aber ein glücklicher Einstieg in die Darstellung von queerem Fetisch ist der Film bestimmt nicht. 

Seitdem hat sich nur wenig getan. Seit Ende der 80er stellt Filmemacher Bruce LaBruce, Kanadas König des Kinks und Wegbereiter des New Queer Cinemas, einige Vorlieben und Explizitheiten dar, aber selten so stark im Fokus wie 2013 der Fetisch für alte Männer in „Geron“ (OT: „Gerontophilia“). 

Im selben Jahr präsentierten Travis Mathews und James Franco („Milk“, „127 Stunden“) die experimentelle Dokufiktion „Interior. Leather Bar.“, die vorgibt, die verlorenen 40 Minuten von „Cruising“ zu rekonstruieren – und sich in endlosem Meta-Blabla übers Filmemachen und Drehen von schwulem Sex verliert. Letztlich scheint Franco dieses Tabu auch nur für ein verschrobenes Eitelkeitsprojekt und Aufmerksamkeit zu missbrauchen. 

Wer sich mit echter Leder-/Fetischszene auseinandersetzen möchte, der kann z.B. die Doku „Age of Consent“ von 2014 über den inzwischen geschlossenen Londoner Fetischclub The Hoist anschauen, wobei in dieser eigentlich nur geredet wird und das recht langweilig.  

Ergiebiger ist „BloodSisters: Leather, Dykes and Sadomasochism“ von 1995 über Lederlesben in San Francisco, die – typisch für Amerika – viel mehr Archivmaterial beinhaltet (bloodsistersthemovie.com). 

 Im Gegensatz zu dieser betagten Doku ist die brasilianische „Mr. Leather“ von 2019, die die Kandidaten der zweiten Fetisch-Misterwahl folgt, stark auf Schauwert gestriegelt und aktuellen Sehgewohnheiten schmeicheln. 

Ansonsten bleibt einem vielleicht nicht viel mehr übrig, als sich leichte, humorvolle Unterhaltung zu suchen, und die bietet die Serie „Bonding“ eines Streamingdienstes über eine Domina und ihren schwulen Assistenten – oder es eben selbst auszuleben. 

 

von Martin Wolkner

Bilder: Filmverlage