AktivistA

Unser erste Interviwpartner*in ist Irina Brünning, Medienreferntin der der Gruppe AktistA, einem Verein zur Sichtbarmachung des asexuellen Spektrums.

BOX: Erzähle unseren Lesern doch zu Beginn etwas zu deiner Person: Wer bist du, wie alt bist du, wo lebst du, was machst du? 

Irina: Ich heiße Irina, bin 35 Jahre alt und wohne in Hamburg. Hauptberuflich bin ich als freie Übersetzerin tätig und ehrenamtlich Medienreferentin von AktivistA, Verein zur Sichtbarmachung des asexuellen Spektrums. 🙂

BOX: Unsere Leser, gerade solche, die sich noch nicht damit befasst haben, werden sicher wissen wollen, was ist das eigentlich Asexuell, Asexualtität? Gibt es da eine feste Definition? 

Irina: Im deutschsprachigen Raum konkurrieren zwei Definitionen miteinander: Kein Verspüren von sexueller Anziehung / kein Verlangen nach sexueller Interaktion. Manche Leute verwenden die eine Definition, andere finden die andere praktischer, manche beschreiben ihr Empfinden auch mit Formulierungen wie „Sex brauche ich nicht“, „Sex stört mich in einer Beziehung eher“ etc.
Was noch wichtig zu wissen ist: Asexualität existiert auf einem Spektrum; es gibt Menschen, die sich irgendwo in einer Grauzone zwischen asexuell und allosexuell (nicht asexuell) verorten. Um dieses Spektrum sichtbar zu machen, wird die Schreibweise A_sexualität verwendet.

BOX: Ist Asexualtität ein Leben ganz ohne Lust? Ohne Selbstbefriedigung? Wären Autosexualität und Asexualtität vereinbar? 

Irina: Die Gleichsetzung von A_sexualität mit dem völligen Fehlen einer Libido ist eine häufige Fehlannahme. Die meisten a_sexuellen Menschen können durchaus sexuelle Erregung empfinden, viele praktizieren Selbstbefriedigung. Übrigens ist auch nicht ausgeschlossen, dass man Sex mit einer anderen Person als angenehm empfinden kann (man braucht es nur einfach nicht). Viele Leute glauben jahrelang, dass sie nicht a_sexuell sein können, weil sie masturbieren – man kann nicht stark genug betonen, dass dies kein Widerspruch ist. Entscheidend ist, dass kein Bedürfnis besteht, mit anderen sexuell aktiv zu werden.

BOX: Muss man Asexualtität als eine eigenständige sexuelle Orientierung sehen? Oder gibt es Hetero-Asexuelle, Homo-Asexuelle, Trans- oder queere Asexuelle?

Irina: Die sexuelle Orientierung, die sog. romantische Orientierung (in welches Geschlecht / welche Geschlechter verliebt sich eine Person?) und die Geschlechtsidentität sind völlig unterschiedliche Ebenen, alle Kombinationen sind möglich. A_sexuelle Menschen können sich als cis oder trans verstehen, hetero-, homoromantisch etc. sein – oder auch aromantisch. Aromantik bedeutet, dass man sich nicht in andere Menschen verliebt und keine Liebesbeziehung anstrebt. Aromantische Menschen können, müssen aber nicht a_sexuell sein.

BOX: Für andere sexuelle Orientierungen oder Identitäten ergibt sich oft ein Leidensdruck aus ihrer Situation heraus, empfindest du selbst oder in Bezug zur Asexualtität das auch? 

Irina: A_sexuelle Menschen glauben häufig, sie seien die einzigen, die so empfinden, und mit ihnen stimme etwas nicht. Die Orientierung ist noch nicht sehr bekannt (siehe auch übernächste Frage und die Fragen zur Vereinsarbeit). Wenn sie sich anderen offenbaren (siehe auch nächste Frage), wird ihnen oft nicht geglaubt, sie werden nicht ernst genommen. A_sexualität wird (wie z. B. Homosexualität in der Vergangenheit bzw. noch heute in einigen Ländern) nicht kriminalisiert, aber teilweise pathologisiert, als krankhaft/unnormal betrachtet.

BOX: Gibt es auch bei Asexuellen sowas, wie das Coming Out bei homosexuellen Menschen? 

Ich denke, das gibt es bei allen Personen aus der LGBT-Community. A_sexualität ist keine Entscheidung, aber ob man sich anderen Menschen diesbezüglich anvertrauen möchte, ist eine. Viele a_sexuelle Menschen sind im Vorfeld aufgeregt, machen sich Sorgen über mögliche negative Reaktionen und sind erleichtert, wenn sie auf Verständnis / Akzeptanz stoßen. Ganz ähnlich wie bei Homosexuellen also.

BOX: Gibt es eine Asexuellen-Bewegung?

Die a_sexuelle Community ist relativ jung und stark internetbasiert. 2001 ging AVEN (Asexual Visibility and Education Network) in englischer Sprache online, seit 2005 existiert das deutsche Äquivalent. Es handelt sich jeweils um statische Seiten mit Informationen, an die ein Forum zum Austausch angeschlossen ist. Mittlerweile nutzen A_sexuelle auch noch zahlreiche weitere Kanäle, um miteinander in Kontakt zu kommen, es gibt Gruppen in sozialen Netzwerken, Blogs sowie regelmäßige Treffen in vielen Städten. Auf CDSs (siehe letzte Frage) sind wir auch schon seit Jahren anzutreffen.
Zur Formulierung „Bewegung“: A_sexuelle Menschen haben keine politischen Anliegen, die mit der Forderung nach der Öffnung der Ehe für alle oder nach einem besseren Transsexuellengesetz vergleichbar wären. Sie wünschen sich in erster Linie mehr Sichtbarkeit (wobei sich diesbezüglich in den letzten ca. 10 Jahren auch schon einiges getan hat).

BOX: Wie und wann kam es zur Gründung des Vereins? Gab es einen besonderen Anlass? 

Der Verein wurde 2012 in Karlsruhe gegründet. Die Gründungsmitglieder kannten sich über das deutsche AVEN-Forum bzw. über den lokalen Stammtisch. Es ging zunächst um einen kleinen Infostand, vielleicht auch einen zweiten, um den Druck von Informationsmaterial für derartige Anlässe und die kleinen Pläne wurden mit der Zeit immer größer. Zu unseren Anfängen siehe auch hier: https://aktivista.net/aktivista/aktivista-in-bildern/ 

BOX: Was ist der Kern der Tätigkeiten des Vereins?

Wir haben uns die Sichtbarmachung von und die Aufklärung über A_sexualität auf die Fahne geschrieben. Konkrete Aktionen siehe nächste Frage …

BOX: Welche Aktivitäten, Angebote und Aktionen bietet der Verein? Wie gestaltet sich das Vereinsleben?

Irina: Unser Verein hat derzeit fast 30 Mitglieder, die sich über ganz Deutschland verteilen. Jede_r tut, was er_sie kann (in der Öffentlichkeit stehen, unserem Material ein hübsches Design verpassen etc.). Einmal im Jahr gibt es eine Mitgliederversammlung, ansonsten stehen wir per Mail in Kontakt.

Was wir tun:
– Informationsmaterial zur Verfügung stellen (siehe hier: https://aktivista.net/materialien/gedrucktes/), das bei uns kostenlos bestellt werden kann

– Auf einigen deutschen CSDs mit einer Fußgruppe und/oder einem Infostand Präsenz zeigen (vorwiegend in BaWü, da der Verein ursprünglich von dort kommt).

– Jährlich eine Konferenz mit überregionalem Treffen in Stuttgart organisieren (siehe hier: https://aktivista.net/konferenz/aktivista-2020/) 

– Vorträge zum Thema halten

– Eine Ansprechpartnerin für die Medien haben – also mich 😉

Dabei halten auch Leute Vorträge über A_sexualität, die nicht zum Verein gehören, und es gibt auch CSD-Fußgruppen, die nicht von uns, sondern von anderen engagierten Personen in der Community organisiert werden. 

BOX: Wie sieht man sich im Kontinuum der LGBTQA+ Community? Ist man z.B. bei den CSDs mit dabei? 

Irina: Die Frage, ob a_sexuelle Menschen zur LGBT-Community gehören und ihren Platz auf CSDs und ähnlichen Veranstaltungen haben, konnte bisher nicht abschließend geklärt werden (wird sie es jemals?). Manche Homosexuellen, Trans*menschen etc. sind der Meinung, A_sexuelle würden nicht genug diskriminiert, um dazuzugehören, manche a_sexuellen Menschen finden, bei CSDs gehe es doch nur um zur Schau gestellte Sexualität und eine Teilnahme ihrerseits sei nicht das Richtige.
Unser Verein sieht A_sexualität klar als queer und nimmt (siehe oben) an CSDs teil. Wir haben diesbezüglich viele gute Erfahrungen gemacht und nette Kontakte knüpfen können, z. B. mit der Gruppe Bi-in-BW, mit der es schon gemeinsame Fußgruppen gab.

BOX: Bei sexuellen Orientierungen wie Hetero-/Homosexualität gab (und gibt) es eine Forschung, die versucht biologische, gesellschaftliche oder beiderlei Gründe als „Ursache“ zu finden. Gibt es solche Forschungen auch im Bereich der Asexualtität? Und wie steht ihr diesen gegenüber? 

Irina: Generell wird zum Thema A_sexualität noch relativ wenig geforscht. Einiges in dieser Richtung publiziert haben z. B. Anthony Bogaert und Lori Brotto. Siehe auch hier: https://aktivista.net/2017/01/18/a_sexualitaet-wissenschaftliche-grundlagen/ Ich bin faul und verweise auf die verlinkte Seite, weil A_sexualität und Wissenschaft nicht mein Schwerpunkt ist (der Text ist von einer Kollegin), die Sachen mich persönlich wenig interessieren und ich das alles ständig wieder vergesse. Sorry. 🙂

BOX: Du sagst, dass Asexualtität sich auf einem Spektrum zwischen asexuell und allosexuell zeigt. 

Wie sind deine Erfahrungen aus der Gruppenarbeit? Ist es eher so, dass die meisten Menschen (ausschließlich oder fast ausschließlich) asexuell leben, oder sind fluide Zustände häufig/er? 

Irina: Die Formulierung „asexuell leben“ ist ein wenig ungünstig gewählt, weil sie sexuelle Orientierung mit sexuellem Verhalten vermischt, das sind aber zwei verschiedene Dinge. A_sexuelle Menschen können aus unterschiedlichen Gründen sexuell aktiv sein. Zum Thema fluide ja oder nein: Bei den meisten Leuten ist es relativ stabil, sie fühlen sich ein Leben lang gar nicht oder nur wenig sexuell zu anderen hingezogen (wobei viele erst spät erkennen, dass sie a_sexuell sind, weil sie jahrzehntelang nie davon gehört haben – eine bestimmte Orientierung haben und sie benennen können, sind ja auch zwei verschiedene Dinge).
Zum Verhältnis von Asexuellen und Identitäten im asexuellen Spektrum siehe z. B. hier: https://asexualcensus.files.wordpress.com/2018/11/2016_ace_community_survey_report.pdf , S. 7. Da haben sich immerhin über 9.000 Personen geäußert, die sich im Spektrum verorten. Die Zahlen würde ich jetzt nicht als in Stein gemeißelt verstehen, eher als: So kann es aussehen.

BOX: Wohin können sich Menschen, die sich zu A_sexualität Beratung und Hilfe wünschen, oder direkten Kontakte und Austausch zu anderen a_sexuellen Menschen suchen vor Ort wenden? Gibt es da lokale Gruppen und Initiativen und/oder Ansprechpartner? 

Irina: Die schlechte Nachricht zuerst: Beratungsstellen speziell für A_sexuelle gibt es nicht. Beratungsangebote für LGBT-Personen „decken“ z. T. auch A_sexualität ab (die Jugendberatung In & Out: https://comingout.de/ und das Queer Lexikon, das sich ebenfalls eher an junge Menschen richtet: https://queer-lexikon.net/, fallen mir da spontan ein) und ich weiß, dass immer mehr queere Schulaufklärungsprojekte (z. B. Schlau) auch das A in der Buchstabensuppe berücksichtigen.
Wer Austausch mit ähnlich Empfindenden sucht, findet Möglichkeiten zunächst online, z. B. im AVEN-Forum (nicht mehr so aktiv, wie es mal war, aber noch nicht tot) und in einschlägigen Gruppen auf Facebook & Co. Zu lokalen Gruppen und wie man sie findet siehe nächste Frage…

BOX: Wo gibt es z.B. regelmäßige lokale Treffen oder Gruppen, wohin Menschen gehen könnten? Wo würden Interessierte Adressen finden können? 

Irina: Über das AVEN-Forum werden in vielen Städten im deutschsprachigen Raum Stammtische organisiert – einfach mal ins entsprechende Unterforum schauen.
Eine kleine Liste gibt hier: aktivista.net/links unter „Andere Gruppen und Organisationen“ und auch hier: asex-web.de/stammtische. Wer sich ein bisschen durchklickt, findet sicherlich Leute aus der eigenen Umgebung.  Und den Discord-Server, auf dem sich im Moment viele asexuelle Menschen zusammenfinden und quatschen. Hier ist der Link für Interessierte: https://discord.com/invite/HnkcTgX