Teil 1 findet ihr hier!
Als besonders unangenehm wird von vielen betroffenen Personen der sogenannte Translebenslauf empfunden. Dieser Lebenslauf soll die verschiedenen Lebensstationen, an denen sich das trans-sein nachweisen lässt, grob umreißen. Angefangen von der frühen Kindheit bis zum Zeitpunkt der Antragstellung. Wie überhaupt soll man so etwas beweisen? Ganz konkret spricht man hier trans* Personen ihre Autonomie ab. Etwas abstrakt Empfundenes wie die geschlechtliche Identität unter Beweis stellen zu müssen ist an Wahnwitz schwer zu übertreffen. Der Lebenslauf ist an keine Form gebunden, wichtig ist nur, klar skizzieren zu können, schon immer „im falschen Körper gelebt zu haben“. Dieser Zwang führt dazu, dass sich viele Personen Geschichten aus den Fingern saugen, um diesen Test bestehen zu können. Gruselgeschichten von Leuten, die offen kommunizieren sich immer oder oft dem bei ihrer Geburt zugeschriebenen Geschlecht entsprechend verhalten zu haben und aufgrund dessen einen Ablehnungsbescheid im Postkasten hatten, hört man selten, aber es gibt sie. Selbstverständlich gibt es auch sich sehr stereotyp verhaltende trans* Personen, für die der Lebenslauf kein Problem darstellt. Meiner persönlichen Erfahrung nach ist das Schreiben des Lebenslaufes aber in der Regel mit kleineren oder größeren Lügen verbunden, aus Angst nicht „trans genug“ für eine Änderung zu sein.
Hat man diesen Lebenslauf zusammen mit dem Antrag nun schlussendlich verschickt, fängt das erste große Warten an. Warten auf die Meldung von zwei verschiedenen, unabhängig agierenden Gutachter:innen die sich ein eigenes Bild über die Ausprägung des trans* sein machen wollen. Auch an dieser Stelle sei gesagt, dass meine im folgenden geschilderten persönlichen Erfahrungen, sich mit den meisten Menschen aus meinem Umfeld decken, jedoch keinen Anspruch auf eine absolute Wahrheit erheben.
Die zwei Termine für die Begutachtung liegen meist einige Wochen bis Monate auseinander und sind im höchsten Maße unangenehm. Allein die Vorstellung, einer mir bis dato wildfremden Person beweisen zu müssen auch wirklich trans zu sein und diese Überzeugung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu ändern, bereitete mir großes Unbehagen. Als ich schließlich bei meinem ersten Termin vor zwei Gutachterinnen saß, statt wie angenommen nur vor einer, brachte ich kaum ein klares Wort heraus. In meiner Empfindung relativ empathielos ging es ohne Umschweife direkt zu Sache. Ob ich als Kind kurze Haare getragen hätte, wie es für mich war Kleider tragen zu müssen, ob ich mich in der Schule in den Pausen eher zu den Mädchen oder Jungen gesetzt hätte, waren erste Fragen, die ich zu beantworten hatte. Ich traute mich nicht offen zu kommunizieren, dass ich in meiner Schulzeit ganz klar besser mit Mädchen zurechtkam als mit Jungen. Auch vor intimen Fragen, zu welchem Geschlecht ich mich hingezogen fühle und wie genau ich Sex hätte, wurde nicht halt gemacht. Ad absurdum geführt wurde das ganze Unterfangen schließlich durch die Frage, welches Duschgel ich denn benutze.
Mit brummendem Schädel und wackligen Beinen verließ ich nach ca. 1,5 Stunden die Praxis. Die folgenden Wochen waren für mich eine enorme Belastung. So hatte ich den ersten Termin noch nicht verarbeitet und wusste, ich müsse mich unter Umständen einer ähnlichen Befragung zum zweiten Mal aussetzen. In meinem Fall wurde meinem Wunsch für die Benennung des zweiten Gutachters jedoch nachgekommen und mein mich bereits behandelnder Psychotherapeut führte eine schnell überstandene und nicht großartig unangenehme Befragung durch.
Der letzte Punkt auf der Reise stellt das Vorsprechen vor Gericht dar: Sind die beiden Gutachten positiv ausgefallen erhält man Post von dem zuständigen Amtsgericht, mit einem Termin für die Vorsprache vor einem zuständigen Richter oder Richterin. Dieser Termin ist in vielen Fällen dann nur noch pro forma und mit wenigem Aufwand verbunden. Sind die Gutachten positiv hat auch das zuständige Gericht meistens keine Einwände. Nach der Bestätigung des Gerichts vergehen dann nochmal ein paar Wochen, bis man schließlich den rechtsgültigen Bescheid, mit dem man endlich die Dokumente ändern kann, in den Händen hält.
Meiner Meinung nach ist das TSG in seiner aktuellen Form verfassungswidrig, auch wenn über die Jahre Änderungen vorgenommen wurden. So war es bis 2011 noch Pflicht, sich einer dauerhaften Unfruchtbarmachung (Kastration) zu unterziehen, um überhaupt Anrecht auf eine Änderung des Namen- und Personenstandes zu haben. Die Fragen, die mittels der Gutachten geklärt werden sollen (empfindet die antragstellende Person sich dem anderen Geschlecht als zugehörig und steht sie seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben? Wird sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern?), sowie die Methoden, die angewendet werden, um diese Fragen klären zu können, sind entwürdigend und diskriminierend.
Mit großer Hoffnung blicke ich auf das Ende des Jahres 2024 und hoffe inständig, dass das Selbstbestimmungsgesetz nicht ein zweites Transsexuellengesetz nur mit anderem Namen wird und nachfolgenden trans* Personen erstmalig das Leben anteilig erleichtert und nicht erschwert.
Von Janosh Wennemer