Austin/Texas: Tanz mit mir

Ein Reisebericht

Texas’ Hauptstadt Austin ist die unumstrittene Lieblingsstadt aller Liberalen, Alternativen, Schwulen – und Musikliebhaber in Texas. Einmal im Jahr feiert die Stadt mit großem Tamtam das Austin City Limits Music Festival. Und das gleich an zwei Wochenenden. Weltstars wie Eminem, Pearl Jam, Outkast, Calvin Harris und Lana del Rey geben sich dann die Klinke in die Hand. Für die Schwulen aus Austin und Umgebung ist das eine exzellente Gelegenheit, ein Wochenende durchzufeiern. Ein Besuch.

Es ist gerade einmal fünf Jahre her, als ich zum ersten Mal ein Musikfestival besucht habe: das Melt-Festival in dem Freiluftmuseum für Braunkohletagebau, der „Ferropolis“ in Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt. Ein Jahr später tummelte ich mich auf dem Fusion Festival herum, 2014 begeisterte mich das Hurrican-Festival auf dem Eichenring bei Scheeßel in Niedersachsen. Spätestens danach habe ich Lunte gerochen. Festivals, das war fortan an mein Ding. Wenn ich mal andere Schwule kennenlernte wollte, schaltete ich einfach die App Grindr an – und schon wurden mir gleich mindestens 20 Typen auf dem Festivalgelände angezeigt. Das Argument meiner Freunde, da wären ja nie Schwule, hat sich gottlob nie bewahrheitet.

In diesem Jahr sollte es einmal weiter weg gehen. Festivalfreunde haben mir immer wieder vom großartigen Austin City Limits Music Festival vorgeschwärmt. „Defintiv eines der besten Festivals in den USA“, wie mir immer wieder versichert wurde. Ich gebe zu, von Austin hatte ich vorher nicht viel gewusst. Dass diese relativ kleine Stadt die Hauptstadt von Texas war (und nicht etwa Houston oder Dallas), habe ich schnell in Erfahrung bringen können. Auch, dass die Stadt mehr zu bieten hat als der Rest von Texas: Viele junge Studenten, eine vibrierende Schwulenszene und ziemlich viele Leute, die einen alternativen Lebensstil kultivieren. Warum also nicht?

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Auf den ersten Blick hat Austin etwas sympathisch Kleinstädtisches: Die Innenstadt ist ziemlich frei von Hektik, es grünt an allen Ecken und Ende und die Leute sind lässig drauf. Normalerweise.
Heute aber sieht es ein bisschen anders aus, wenn an den ersten beiden Oktoberwochenenden zum Austin City Limits Music Festival nicht nur die Nachbarschaft auf den Beinen ist, sondern bis zu 80.000 Besucher täglich – und zwar aus allen US-Bundesstaaten und dem Ausland. Der Autoverkehr staut sich dann bis vom Highway bis in die Innenstadt – und zurück. In Austin ist es im Oktober erstens noch ziemlich heiß (es sind fürs Wochenende Sonnenschein und 35 Grad angesagt), zweitens wird den Besuchern mit einem spektakulären Line-Up eingeheizt (Eminem, Pearl Jam, Outkast, Calvin Harris und Lana del Rey) und drittens muss man echt aufpassen bei den ganzen Partys, die in der Stadt vor, während und nach dem Festival angeboten werden, den Überblick zu bewahren.

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Die Website des Rain-on-4th-Clubs klingt vielversprechend: Miller-Bier zum halben Preis, Martinis für günstige 6 Dollar und auf einigen Bildern ist auch mal der ein oder andere Go-go-Dancer zu sehen, der sich sexy auf dem Podest räkelt. Da kann man echt nicht motzen; erst recht nicht, wenn man als Schwuler keine Lust auf Heterobars mit Horden betrunkener Festivalbesucher hat. Eigentlich ist es in Austin ziemlich einfach, die rund zehn Schwulenbars zu finden. Man fragt sich einfach durch bis zum Warehouse District und folgt anschließend den Schwulen, die durch die Gegend tingeln. Als ich in dem Viertel angekommen bin, wollte ich mir erst noch ein Bierchen auf der Straße gönnen. Aber halt, wir sind in den USA, und Alkohol ist auf öffentlichen Plätzen ein absolutes No-go. Also nichts wie hin in den Rain on 4th Club.

Auf der anderen Straßenseite erblickte ich drei Typen, ungefähr Ende 20, Anfang 30 Jahre alt. Die drei hatten offenbar zu Hause schon ordentlich gebechert, einer von ihnen konnte kaum noch geradeaus laufen. Kann auch sein, dass sie gleich vom Festival hergekommen sind. Ihr Klamottenstil: sportlich-lässig, kurze Hose. Es war um 23 Uhr immer noch 30 Grad heiß und ziemlich schwül. Meine siebter schwuler Sinn sagte mir ganz klar: Die Jungs haben das gleiche Ziel wie ich. Ich entschloss mich, ihnen unauffällig zu folgen.

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Als wir wenige Minuten später in der kurzen Schlange vor dem Club standen, war ich schon ein wenig nervös. Ob was los ist? Wird mir die Musik gefallen? Sind coole Typen da, die man vielleicht auch kennenlernen kann? Die üblichen Fragen halt, die man sich stellt, wenn man als Schwuler allein in einer total fremden Stadt unterwegs ist. Natürlich hatte ich meinen Personalausweis mitgenommen. Denn wenn ich eins beim Ausgehen in den USA gelernt habe, dann das: Nie ohne ID! Die Türsteher fragen einen fast jedes Mal nach dem Ausweis. Unter 21 kommst du einen Club rein. Manchmal fragt man dich sogar nach dem Ausweis, obwohl du deutlich über 50 bist. Die jungen Hühner vor mir wurden natürlich danach gefragt, und ich gleich mit, vermutlich, weil der Türsteher zunächst dachte, ich gehöre zur Clique. Als er aber realisierte, dass ich ihm einen deutschen Personalausweis präsentierte, winkte er mich gleich durch. Auslands-Homo-Bonus sozusagen.

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Kaum war ich an der Kasse vorbei, begrüßte mich ein heißer Typ in Badehose und Waldmeister-Drinks. Er lächelte ohne Ende, aber ich weiß nicht, ob das mir im Besonderen galt und ob das sein Allerweltsbegrüßungslächeln ist, das er sich im Laufe der Zeit for everybody antrainiert hat. Egal, bei Barkeepern und sonstigem Discopersonal habe ich das Flirten vor einigen Jahren aufgegeben – viel zu anstrengend. Ich marschierte sofort los zum Main Floor, wo – Überraschung – Euro-Dance, Pop und R’n’B lief. Jennifer Lopez, Pitbull, Calvin Harris, der übliche Chartskram in allen möglichen Remixen. Hier war ich also durchaus richtig. Ich stürzte gleich zur Bar und bestellte mir eine Flasche Bier. Vier Dollar kostet die, plus ein Dollar obligatorisches Trinkgeld. Das sollte man immer geben, denn sonst werden die Barkeeper ziemlich biestig und ignorieren einen für den Rest des Abends. Es war erst halb 12 am Abend, aber der Dancefloor schon ziemlich gut gefüllt. Ich war überrascht, wie viele Lesben und beste Schwulen-Freundinnen am Start waren. Der Style der Leute gefiel mir: der eine in stylischer Calvin-Klein-Jeans und weißem Hemd, der andere im Beach-Wear inklusive Tank-Top. Offenbar ist es ziemlich egal, was man anzieht.

Um eine qualmen zu gehen, muss man in den Innenhof, oder wie die Amis stets zu sagen pflegen, in den „Patio“. Dort hangen überraschend viele Leute ab. In Texas wird halt mehr geraucht als in vielen anderen US-Bundesstaaten. Hier kam ich schnell mit einem Lesbenpaar ins Gespräch. Die beiden kamen extra aus New Mexiko her, um das Austin City Limits Music Festival zu besuchen. Ich verstand aber ehrlich gesagt nur die Hälfte. Eine von den beiden ratterte mir eine Anekdote nach der anderen ins Ohr, dass ich schnell wieder das Weite suchte. Der Barkeeper meines Vertrauens reichte mir noch drei Dosen Bier, und irgendwann war ich auf dem Dancefloor verloren in den Armen eines Typen …

Text & Bilder: Frank Störbrauck

Anreise. British Airways fliegt über London-Heathrow nonstop nach Austin, Anfang Oktober für rund 1.150 Euro, www.ba.com.

Unterkunft. Radisson, 111 E Cesar Chavez St Austin, TX 78701, zentral gelegenes 4-Sterne-Hotel im Zentrum der Stadt, nur wenige Minuten zu Fuß zu den Gay-Bars, www.radisson.com.

Infos. Die Website http://www.austintexas.org/visit/ informiert über das Tourismusangebot in Austin, die Seite http://www.aclfestival.com/ über das diesjährige Austin City Limits Music Festival (2. – 4. und 9. – 10 Oktober).