Wenn die Pleite droht, nicht nur in Corona Zeiten

Wir haben geschlossen

Die Hoffnungen auf eine Überwindung der Corona-Krise haben sich mit der „Vierten Welle“ zerschlagen. Viele Gaststätten, Clubs und Veranstaltern, manche hatten erst seit einem Monat wieder geöffnet, müssen erneut schließen. Zugleich sind sich viele nicht bewusst, welche Anforderungen aus den Corona-„Hilfen“ der vergangenen fast zwei Jahre auf sie zukommen. Für viele dürften die aktuellen Geschehnisse das Ende bedeuten.

Über die rechtlichen und steuerlichen Folgen sprach BOX mit der Kölner Rechtanwältin Alexia Joannidis, die viele kleine Betriebe in der Praxis betreut.

Wir haben geschlossen

BOX: Bis zuletzt sah es so aus, als wenn die ganz große Pleitewelle infolge der Corona-Pandemie, auch dank der Überbrückungsmaßnahmen, ausbleibt. Doch gerade zerschlagen sich die Hoffnungen auf ein Ende der Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen und es drohen erneut drastische Einschränkungen.

Sie betreuen viele kleinere Unternehmen und Selbstständige, rollt da pandemiebedingt nun doch ein Pleite-Tsunami auf uns zu?

Frau Joannidis: Ich befürchte wirklich, dass nicht mehr von „Wellen“ sondern tatsächlich von einem wirtschaftlichen Sturm gesprochen werden kann mit der Folge, dass das gerade kleinere Unternehmen und Selbständige untergehen werden – um im Bild zu bleiben. Konkret sah es für 2020 und 2021 so aus, dass die Förderungen der Regierung tatsächlich zunächst in vielen Branchen die wirtschaftlichen Verluste minimieren konnten. Hilfen wurden recht zügig ausgezahlt, KfW-Kredite sehr unkompliziert bewilligt, mit der Folge, dass Unternehmen Umsatzverluste kompensieren konnten. In manchen Branchen standen den Förderungen jedoch nicht die üblichen Ausgaben gegenüber, so dass sich durch die Förderungen, welche nicht anderweitig investiert wurden, spätestens in 2022 Steuernachzahlungen ergeben werden, die die Unternehmer meist nicht einkalkulierten.

BOX: Haben sie Beispiele aus ihrer Praxis?

Frau Joannidis: Ja, z.B. ein Lebensmittelgrosshändler beliefert fast ausschließlich die Gastronomie. Als mittelbar Betroffener erhielt er – völlig zu Recht – die November-/Dezemberhilfe für das Jahr 2020 und zwar in Höhe von ca. 75% des Vorjahres-Umsatzes. Enorme Beträge wurden bewilligt und ausgezahlt. Wäre es ein normaler Monat gewesen, hätten den Umsätzen auch zB der Wareneinkauf gegenübergestanden, Benzin für Auslieferungen, evtl. auch mehr Personal. Durch die Schließung entspricht die Förderung fast einem 100%-igem Gewinn mit der Folge, dass diese Beträge auch versteuert werden müssen. Verlieren die Unternehmer/Unternehmen dies aus den Augen, sehe ich hier die nächsten Insolvenzverfahren – sarkastischer Weise auf Grundlage der Förderungen, die solche vermeiden sollten, in den Jahren 2022/2023 auf uns zukommen.

Gleiches gilt in ähnlicher Weise für diejenigen Kleinunternehmer, die sich mehr schlecht als Recht mithilfe von Umstrukturierung, privaten Darlehen und ergänzenden Einnahmequellen (Aushilfsjobs etc.) über die Jahre 2020 und 2021 gerettet haben. Bessert sich die pandemische Situation in 2022 nicht und werden keine nachhaltigen Einnahmen generiert, sehe ich auch hier das Risiko, dass ein Großteil dieser Unternehmer und Selbständigen ein Insolvenzverfahren mit der anschließenden Möglichkeit der Restschuldbefreiung als einzigen gangbaren Weg aus der Verschuldung beschreiten.

BOX: Es gab aber doch eine Änderung der Insolvenzordnung?

Ja – die Dauer einer Insolvenz wurde drastisch auf 3 Jahre reduziert. Man darf aber nicht aus den Augen verlieren: Auch mit der Änderung der Insolvenzordnung und der jetzt gesetzlichen Möglichkeit der Erlangung der Restschuldbefreiung, nämlich des Erlasses aller Schulden, nach bereits 3 Jahren ändert sich an der Einkommenssituation dieser Menschen ja nichts. Wenn ein Geschäft schießen musste und der Inhaber schlicht pleite ist, fehlt neben der Energie auch das Geld für einen Neuanfang.

Neben diesen wirtschaftlichen Gedanken kommt noch hinzu, dass die sicherlich gut gemeinte, aber viel zu schnell angebotene „Soforthilfe“ aus dem ersten Corona-Lockdown im 2. Quartal 2020 nunmehr zur Abrechnung und Rückzahlung ansteht. Das Korsett zur Feststellung, ob die Soforthilfe ganz oder teilweise behalten werden darf, ist sehr eng geschnürt. Viele müssen fast alles zurückzahlen.

Die Corona-Pandemie wird für viele Szenebetriebe zur Bedrohung

BOX: Es heißt, Dank der staatlichen Förderhilfen hätten sich viele Unternehmen gehalten, die längst insolvent waren. Waren die Unternehmen da tatsächlich schon vorher pleite oder sind es doch die Einschränkungen durch die Pandemie, die die Unternehmen entscheidend geschädigt haben?

Frau Joannidis: Es ist natürlich schlecht zu beurteilen, ob die Förderungen tatsächlich manche Unternehmen – hier wird von Zombie-Unternehmen gesprochen – noch künstlich am Leben gehalten haben. Die Antragsteller mussten allerdings bei Antragstellung bestätigen, dass ihr Unternehmen nicht insolvent, d.h. zahlungsunfähig oder überschuldet war.

Stellen diese Unternehmer dann doch einen Antrag auf Insolvenz, wird die Staatsanwaltschaft hier prüfen müssen, ob Subventionsbetrug vorliegt. Ich selbst habe schon die ersten entsprechenden Strafakten auf meinem Schreibtisch.

Ich habe aber auch gesehen, dass viele Unternehmer, gerade im Einzelhandel und in der Gastronomie, die Förderungen und die Schließungen zum Anlass genommen haben, um in ihre Betriebe erheblich zu investieren. Die Räume wurden renoviert, zum Teil neu möbliert. Neue und gut durchdachte Webseiten mit Onlineshops eingerichtet, in Hygienemaßnahmen wurde ebenfalls investiert.

Es mag durchaus sein, dass genau diese Maßnahmen Unternehmen, die es vielleicht vor Corona tatsächlich nicht geschafft hätten, noch ein Jahr wirtschaftlich zu überleben, mit den Förderungen und durch das Engagement der Inhaber und der Mitarbeiter nachhaltig wieder auf den wirtschaftlich ertragreichen Pfad geführt wurden.

BOX: Immerhin konnte die schnell ausgezahlte Soforthilfe doch vielen unter die Arme greifen. Sie sprachen von einem „eng geschnürten Korsett“ – was meinen Sie damit?

Frau Joannidis: Von den betrügerischen Anträgen mal abgesehen, hat die Soforthilfe vielen gerade Einzelunternehmern und Solo-Selbständigen geholfen, die Monate des Lockdowns zu überbrücken. Allerdings sind genau diese Personen auch diejenigen, die mit einem minimalen Kostenaufwand arbeiten, manchmal von zu Hause aus.

Erst nach Protesten wurde diesen Unternehmern ein „privater Selbstbehalt“ in Höhe von 2.000 Euro für die abzurechnenden 3 Monate zugebilligt. Das sind ca. 667 Euro im Monat. Wenn man keine Einkünfte hatte, und einen sehr niedrigen oder keinen betrieblichen Kostenapparat, bedeutet dies, dass man von den 667 Euro die private Miete, Krankenversicherung, Rentenversicherung, Lebensmittel etc. bezahlen musste. Viele haben die Soforthilfe in voller Höhe einfach zum Überleben benötigt und müssen bis zu 7.000 Euro zurückzahlen.
Wenn sich bei dieser Personengruppe die Einnahmesituation nicht trotz Pandemie verändert hat, hilft auch nicht das Angebot der Regierung, die Rückzahlung in monatlichen Raten bis Oktober 2022 vorzunehmen.

BOX: Noch einmal zurück zu Soforthilfe, die stellvertretend für die vielen Hilfen oder gar Kredite steht: Aus unserer Erfahrung haben gerade viele kleine Veranstalter, Shop Betreiber und Kleingastronomen diese in Anspruch nehmen müssen, wissen aber nur schlecht um die Rahmenbedingungen. Was empfehlen sie, wie und wo sie sich kundig machen können?

Frau Joannidis: Zum jetzigen Zeitpunkt ist diese Frage leider bereits überholt. Die allerletzte Rückmeldefrist für den Liquiditätsengpass – so nannte sich das Ganze – nämlich die online Berechnung, was zurückgezahlt werden musste, ist bereits am 31.10.2021 verstrichen. Nach meinem Kenntnisstand wird der gesamte Soforthilfebetrag zur Rückzahlung fällig und eingefordert, wenn man keine Rückmeldung macht. Die Rückzahlung muss in jedem Fall selbständig erfolgen – eine gesonderte Aufforderung erhält man nicht.

Die entsprechenden Informationen und Fristen hatte die zuständige Bezirksregierung mehrfach an die in dem damaligen Antrag angegebene Email-Adresse verschickt.

Informationen erhält man unter https://www.wirtschaft.nrw/nrw-soforthilfe-2020. Dort ist auch eine Hotline-Nummer angegeben für Fragen zur Abrechnung der Soforthilfe sowie weitere Kontaktmöglichkeiten.

BOX: In Bezug auf die Insolvenz erwähnten Sie die Stichworte „zahlungsunfähig und überschuldet“. Was versteht man darunter?

Frau Joannidis: Die Begriffe stammen aus der Insolvenzordnung. Gemäß §19 Abs. 2 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist in den nächsten 12 Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.

Für Unternehmen, insbesondere GmbHs ist es daher wichtig, dass eine sogenannte „Fortführungsprognose“ erstellt wird. Dies ist Aufgabe des Geschäftsführers in Zusammenarbeit mit dem Steuerberater. Es stellt sich die Frage, ob evtl. die getätigten Investitionen, für die man Kredite (=Schulden) aufgenommen hat, sich rechnen werden, man neue Kunden gewonnen hat und somit mit Mehrumsatz rechnet, evtl. Investoren finden wird etc.

Zahlungsunfähigkeit ist in §17 Abs. 2 InsO definiert. Hiernach ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.

Ein recht eindeutiges Merkmal hierfür sind Kontenpfändungen oder die Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung beim Gerichtsvollzieher. In dieser versichert der Schuldner an Eides statt, wie seine Einkommens- und Vermögenswerte sind. Falschangaben sind strafbar.

BOX: Manche Betreibe werden durch Geschäftsführer geführt: Was sollte dieser besonders beachten, wenn Zahlungsunfähigkeit droht, und was muss er dann tun?

Frau Joannidis: Der Geschäftsführer einer GmbH oder UG (Unternehmensgesellschaft) ist verpflichtet bei Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH zu stellen. Stellt er diesen nicht rechtzeitig – hier gilt eine 3 Wochen-Frist seit Kenntnis der Insolvenzgründe – macht er sich strafbar. Dann liegt der Straftatbestand der Insolvenzverschleppung vor.

Diese Insolvenzantragspflicht soll Gläubiger davor schützen, dass sie weiterhin mit einer Gesellschaft Geschäfte machen, z.B. Waren liefern mit einem längeren Zahlungsziel, aber dann auf der Rechnung sitzen bleiben und durch die Nichtzahlung durch die Gesellschaft evtl. selbst in eine finanzielle Schieflage geraten.

BOX: Was droht bei Insolvenzverschleppung?

Frau Joannidis: Der Straftatbestand der Insolvenzverschleppung ist in §15 insO geregelt. Hier sind auch die Pflichten zur Antragstellung aufgelistet. Bei einer vorsätzlichen Insolvenzverschleppung sieht die InsO einen Strafrahmen von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren vor. Bei Fahrlässigkeit: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.
Dies bedeutet nicht, dass immer eine Strafe verhängt wird. Manche Verfahren werden auch eingestellt. Es kommt immer auf die jeweiligen Umstände an.

Zu beachten ist, dass die Insolvenzverschleppung nur die Personen, die in §15 InsO benannt sind, treffen kann. Hierzu zählt insbesondere der Geschäftsführer einer GmbH/UG. Einzelunternehmer oder Privatpersonen können diesen Straftatbestand nicht erfüllen.

Aber – alle Schuldner könnten sich nach anderen Gesetzen strafbar machen. Rein exemplarisch sei hier der §283 StGB genannt: Bankrott. Die Auflistung der dort genannten strafbaren Handlungen würde den Rahmen hier sprengen. Wichtig ist jedoch, dass Schuldner Vermögenswerte nicht beiseiteschaffen dürfen und Unternehmer ihre Buchhaltungspflichten nicht vernachlässigen dürfen.

BOX: Viele Betreiber sehen es noch immer als ihr eigenes, persönliches Versagen an, wenn sie Insolvenz anmelden müssen. Was sagen sie diesen.

Frau Joannidis: Es ist sicherlich frustrierend, wenn man wirtschaftlich abrutscht. Die Gründe hierfür sind aber so zahlreich und immer individuell, dass ich keine Veranlassung sehe, bei einem insolventen Schuldner – sei es eine Privatperson oder ein Unternehmer – von Versagen zu sprechen. Manchmal sind es Fehlentscheidungen, manchmal Fehlentscheidungen anderer, manchmal wurde man betrogen, manchmal spielen gesundheitliche Aspekte eine Rolle oder familiäre.

Die Insolvenz beendet einen unangenehmen, meist untragbaren Zustand und bietet die Möglichkeit eines Neuanfangs.

Vorstellung

Rechtsanwältin Alexia Joannidis, Köln

Rechtsanwältin Joannidis
Rechtsanwältin Alexia Joannidis

Rechtsanwältin Alexia Joannidis, geboren 1970 in Düsseldorf, studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln und machte dort Ihren Abschluss. Nach dem Referendariat in Düsseldorf wurde Sie in Köln als Rechtsanwältin zugelassen. Seit 2005 ist sie selbständig als Rechtsanwältin in eigener Kanzlei dort tätig.

Die Kanzlei ist insolvenz- und wirtschaftsrechtlich ausgerichtet. Frau Joannidis ist Mitglied im Ausschuss für Insolvenzrecht beim Kölner Anwaltverein KAV sowie im Arbeitskreis für Insolvenzrecht Köln e.V. und veröffentlicht seit 2016 in verschiedenen Fachzeitschriften. Seit zehn Jahren ist sie außerdem als Dozentin im juristischen Bereich tätig.

Bilder: BOX, www.push2hit.de /Racamani stock.adobe.com