Sylvain, Mr. Leather France

Unser Mann für interessante Interviews im Bereich Leder & Fetisch, Tyrone Paul Rontganger, sprach mit Sylvain Deparpe, dem amtierenden Mr. Leather France.

BOX: Die Nachrichten von den Terrorangriffen in Paris haben uns alle in Europa schockiert. Ich hoffe, deine Familie und Freunde sind alle wohlauf …
Sylvain: Ja, danke, aber der Schock sitzt bei mir immer noch ganz tief. Obwohl ich nicht in Paris lebe, war ich gerade an dem Freitagabend zu Besuch in der Stadt, als die Terroranschläge stattfanden. Ich war sogar auf der Straße nur ca. 2 km von den Orten des Geschehens entfernt, als mir jemand in Panik entgegenlief und schrie, man dürfe nicht in die Richtung gehen, es werden Menschen erschossen! Dann hörte ich die Hubschrauber und die Sirenen der Rettungsdienste – erst dann erkannt man den Ernst der Lage. Es passierte alles so schnell, aber natürlich hatte ich Angst. Ich habe an dem Abend richtig gebetet!
Die „Full Metal Bar“ im schwulen Quartier Le Marais hat jedem Zuflucht gewährt und dort durften wir in Sicherheit bleiben, bis alles vorbei war. Wir waren da eine bunte Mischung und anfangs wollten wir alle irgendwie sofort zurückschlagen, aber als wir in dann in der Bar immer mehr von den Anschlägen erfuhren, hofften wir alle schließlich nur, dass unsere Liebsten auch in Sicherheit waren.
Viele Bars dort haben dasselbe gemacht und es war ein gutes Zeichen, wie die schwule Szene auch in schlechten Zeiten zusammenhält. Trotzdem befürchtet man, dass sowas wieder passieren wird. Die Tage danach waren in Paris ängstlich aber auch gleichzeitig sehr traurig. Diese Angriffe haben uns sehr getroffen, aber wir lassen uns von Terroristen nicht klein kriegen. Unsere Égalité, Fraternité und Liberté sind doch viel stärker!

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BOX: Wir wollen nicht anmaßend sein, wenn wir jetzt im Namen der deutschen Fetisch-Community unser Beileid für unsere Brüder und Schwester in Frankreich aussprechen, die darunter gelitten haben oder noch leiden.  Nach deiner Meinung, wie werden diese Ereignisse die Fetischszene dort beeinflussen?
Sylvain: Gottseidank war die schwule Szene bisher noch nie direkt ein Angriffsziel für Terroristen. Da sie aber gezielt unsere westliche Freiheit und Freizeit angreifen wollen, darf man natürlich nicht ignorieren, dass wir auch eines Tages ins Terrorvisier rücken könnten. Ich habe es aber an dem Wochenende selber gesehen, wie wir dort auf einander aufpassen, ob in Fetisch oder nicht. Wir werden uns vor ihnen nicht verstecken, sondern unsere Freiheit verteidigen, indem wir genau wie früher weitermachen. Uns allen sind seit Stonewall unsere Rechte bewusst: Wir haben das Recht auf Würde und Respekt, und die lassen wir uns nicht mehr entziehen.

BOX: Wie ist die Fetischszene überhaupt in Frankreich?
Sylvain: Ich lebe seit 9 Jahren in Poitiers, einer Kleinstadt zwischen Paris und Bordeaux. Das Internet mit Grindr, Hornet, Scruff, usw. haben schön dafür gesorgt, dass wir dort gar keine Schwulenbars mehr haben.  Das ist sehr traurig! Auf der anderen Seite schöpfe  ich aus der Fetischszene Hoffnung, weil sie gute Kernwerte hat.  Die Vereine ASMF, UNIFS UNIFS, EXULTARIC, MECS EN CAOUTCHOUC leisten hier gute Arbeit in der HIV-Prävention und gucken, dass wir in Cruisingbars und auf Sexveranstaltungen immer wieder mit Kondomen umsonst versorgt werden.
Jedes Jahr findet Ende Mai die ‚Paris Fetish Week‘ statt, die vom Jahr zu Jahr bekannter und größer wird. Details findet man unter www.parisfetishevents.com. Fast alles in der Fetischszene findet in Paris statt, aber es wird in anderen Städten wie Lilles, Nantes oder Lyon langsam besser. Die Fetisch-Community wächst immer mehr und erfährt zunehmend Toleranz. Seit meiner Wahl erhalte ich immer wieder Nachrichten von jungen Männern, die alles über Leder erfahren wollen: „Wo kriegt man es? Wie trägt man es? Wohin kann man es tragen?“ Meine Antwort ist immer: Probiere es mal selber und finde es heraus! Und wenn man schon die Fetischsachen im Kleiderschrank hat, wäre es blöd, sie nur zuhause zu tragen!

BOX: Warum trägst du Leder?
Sylvain: Ich hatte bereits mit 20 Jahren meine erste Lederhose und sie damals mit einem langen Ledermantel zur Schule getragen, denn für mich war Leder damals einfach nur modisch! Erst als ich etwas älter wurde und den ersten Pornofilm und das erste Tom of Finland Bild sah, entdeckte ich die erotische Seite davon: Wie maskulin, machtvoll und wild der Sex in Leder sein kann! Wenn man Leder trägt, gucken immer andere Leute hinterher, was heißt, man braucht dafür ein gewisses Selbstbewusstsein.  Viele tragen Leder, nur weil sie Motorrad fahren – oder vielleicht auch mal andersrum – aber ich trage es, weil es unheimlich sexy finde und weil es meine Fantasien ausdrückt.  Und wenn man anderen Lederkerlen begegnet, hat man immer sofort etwas gemeinsam. Man darf aber trotzdem nicht vergessen, dass nicht alle Typen in Leder auch Fetischisten sind! Daher ist es wichtig, Teil einer Community zu sein, wo man mit ähnlich-denkenden Typen in Kontakt kommen kann. Man soll sich nicht verstecken, sondern in Harmonie mit sich selbst leben.

BOX: Und darum wolltest du die französische Fetischcommunity vertreten?
Sylvain: Ich war ca. 20 Jahre alt, als ich von der Wahl International Mr. Leather erfuhr und habe es seitdem jedes Jahr intensiv verfolgt. Dadurch fand ich heraus, es gibt in Europa nationale Mr.-Wahlen und fing an, mich auch dafür zu interessieren. Im Verlauf der Jahre lernte ich immer wieder interessante Lederkerle und Ledermisters kennen – manche persönlich, andere auf Facebook – die mich ermutigten, mich selbst für eine Wahl anzumelden. Sie wissen zwar nicht, wie wichtig sie mir sind, denn sie haben aktiv dazu beigetragen, aus mir einen Lederkerl zu machen. Ich hatte nie gedacht, ich würde je wie sie werden.

BOX: Warum, glaubst du, hast du den Titel Mr. Leather France gewonnen?
Sylvain: Das kann ich nicht so leicht beantworten! Tyrone, du warst dabei in der Jury und weißt es vielleicht sogar besser als ich! Ich habe auf der Bühne einen Striptease-Tanz mit einem Safer-Sex-Hintergrundthema gemacht und dabei ein Lied über dem Ausdruck der eigenen Gefühle von einer lesbischen Sängerin,  Nadia Ali, gespielt – „Pressure“. Die Jury habe ich vielleicht mit meinen Englischkenntnissen beeindruckt, aber diese drei Elemente aus meiner Show haben das 200-köpfige Publikum offenbar überzeugt. Ich glaube dazu kommt, dass ich sehr gerne lächele; ich höre immer wieder von Leuten, „Wow, endlich ein Lederkerl, der auch lächeln kann!“. Es ist wichtig, sich selbst zu sein! Wenn man gerne lacht, sollte man das auch in Leder machen, und sich nicht in zwei Menschen verteilen, wie das viele in den Szenenbars machen. Ich bin stolz auf meine Persönlichkeit und kann mich gar nicht verstellen. Wir waren bei  der Wahl insgesamt 8 wirklich gute Kandidaten aus verschiedenen Regionen in Frankreich und ich weiß nicht genau, warum ich die Wahl gewonnen habe. Dafür weiß ich aber, es gibt noch eine Menge zu tun, bevor ich in einem halben Jahr auf der Bühne in Chicago beim IML auftrete! Egal was man sagt, glaube ich nicht, dass dort die Persönlichkeit an erster Stelle zählt. Ich war früher übergewichtig und gucke immer noch etwas ungern in den Spiegel. Ich sehe darin nur den Typen von nebenan und für die IML reicht das bestimmt nicht.

BOX: Du hast aber bei der Wahl Mr. Leather Europe den 3. Platz erreicht – Gratulation! Diese Wahl wird mittlerweile oft kritisiert, denn es gewinnt sie oft der Mister-Vertreter des Gastgeberlandes. Was sagst du dazu?
Sylvain: Es ist immer einfach, etwas zu kritisieren, aber so eine Wahl selber zu organisieren, das ist etwas komplett Anderes! Ich finde die Wahlveranstaltungen gut gemacht, aber trotzdem brauchen manche Sachen, wie sonst alles im Leben, etwas Verbesserung. Vielleicht könnte man da ein Online-Voting einführen, damit Andere mitwählen können und nicht nur diejenigen, die das Geld und die Zeit für die Reise dorthin haben. Oder vielleicht wie bei der E.S.C., wo das eine Land nicht für seinen eigenen Vertreter wählen darf. Das alles sollen die Organisatoren und Vereine in der ECMC besprechen, denn es ist nicht wirklich besonders spannend, wenn man den Gewinner schon vorhersagen kann, nur weil er aus dem Gastgeberland kommt! Die Wahl könnte dadurch langsam an Glaubwürdigkeit verlieren. Nichtsdestotrotz verdient Thorsten, der diesjährige Gewinner, zweifellos die europäische Schärpe und ich bin schon stolz, ihn als Drittplatzierter unterstützen zu dürfen.

BOX: Außer den Mr. Leather Europe zu unterstützen, was möchtest du in deinem Titeljahr sonst schaffen?
Sylvain: Schon als ich auf der Bühne bei der Wahl zum Mr. Leather France stand, sprach ich für mehr Rechte für Schwule und erklärte der Ausbreitung von HIV den Krieg! Diese Ziele habe ich noch vor.  Das Gesundheitsministerium in Frankreich hat gerade eben das Medikament für PrEP zugelassen und das ist ein riesiger Fortschritt gegen HIV. Trotzdem plädiere ich noch für Kondome, denn damit vermeidet man jedes Infektionsrisiko. Ich möchte weiterhin die Fetisch-Community unterstützen, indem ich besonders unsicheren Neuankömmlingen in der Szene mit Rat und Tat helfe. Mein Titeljahr ist schon halb vorbei und gleich im Januar fangen in Frankreich erneut die regionalen Wahlen für den Mr. Leather France 2016 an. Es ist mir wichtig, dass ich so viel wie möglich in den acht verschiedenen Regionen bei den Wahlen persönlich dabei bin, um die neuen Kandidaten auf das kommende Jahr vorzubereiten und sie aufzuklären, was jetzt kommen wird und wie sie damit umgehen können. Ich will außerdem, wie gesagt, beim IML in Chicago mitmachen. Ich würde auch gern die verschiedenen Facetten der schwulen Szene – Leder, Latex, Sport, Bear, usw. – etwas mehr vereinen. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die gerne auflisten, alles was sie je erreicht haben und was sie alles machen wollen, aber ich hoffe, dass alles was ich mache, gut gemacht wird.

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BOX: Und beurteilt dich dann dein Partner dabei?
Sylvain: Eigentlich fragt man sowas nicht, Tyrone (lacht)! Ich bin mit meinem Partner schon seit 17 Jahren zusammen und obwohl wir natürlich viel gemeinsam haben, steht er nicht so wirklich auf Leder. Er kennt aber schon seit langem, worauf ich stehe und akzeptiert es, dass wenn er mit mir zusammen sein will, dann muss er mich als Ganzes nehmen. Besonders die Sexualität lässt sich nicht verhandeln. Ich wollte schon fünf Jahre lang bei einer Wahl zum Mr. Leather mitmachen und hatte jedes Jahr dafür eine Ausrede, bis er mir eines Tages sagte: „Sylvain, jetzt bist du dran! Wie lange willst du dann noch warten? Bis du 60 bist und es dir zu spät wird?“. Er unterstützt mich viel dabei, versteht es, dass ich öfters am Wochenende unterwegs bin. Obwohl ich ihm gehöre, muss er mich als Mister mit vielen Anderen teilen. Ich muss den Menschen offen bleiben, wenn sie mich begrüßen wollen oder Fragen haben und er bewundert mich dafür, weil er mit Fremden nicht so gut umgehen könnte. Trotzdem kommt schon bei ihm ab und zu die Eifersucht durch, aber er hält es doch in Grenzen. Er ist stolz auf mich ist und ich bin immer stolz auf ihn, wenn er neben mir steht. Er steht da zwar meistens in meinem Mr.-Leather-Schatten, aber ich liebe ihn endlos. Ich mag diesen Titel nur ein Jahr tragen, aber für ihn möchte ich ein Leben lang Mr. Leather bleiben! (tr)

Sylvain Deparpe
Alter: 38
Beruf: Kaufmännischer Assistant
Hobbys: Kino, Sport, Geschichte, Kunst, Fremdsprachen