Am 13. September werden in Nordrhein-Westfalen in vielen Kommunen die Oberbürgermeister (nach)gewählt. So auch in Köln. Dabei deuten sich interessante neue Koalitionen an.
Für Köln fragen wir bei Henriette Reker, Sozialdezernentin der Stadt und gemeinsame Oberbürgermeister-Kandidatin von CDU, FDP und Grünen über den Stand der Dinge in der Rheinmetropole aus Sicht der LBGTI-Community nach.
BOX: Aus Ihrer langjährigen Erfahrung in der Kölner Kommunalpolitik und allgemein: Wie sehen Sie die derzeitige Entwicklung Kölns, wo liegen die größten Probleme, wo die größten Chancen für die Stadt. Vor allem im Vergleich zu den anderen Metropolen.
Henriette Reker: Köln ist eine wachsende Stadt mit großen Chancen. Sie ist international bekannt, internationale Unternehmen sind hier ansässig, mehr als 20 Hochschulen, Spitzenmedizin mit der dazugehörigen Forschungslandschaft. Kölns Ausstrahlung als tolerante und weltoffene Stadt hat eine große Anziehungskraft ebenso wie ihre Kulturangebote.
Herausforderungen sind bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, soziale Ungleichheit zu mindern, den Wirtschaftsstandort zu stärken und Unternehmensansiedlungen zu fördern. Dabei ist gerade die Kreativwirtschaft und die Digitalisierung ins Auge zu nehmen.
Die Zukunftsfähigkeit Kölns wird auch davon abhängen, dass eine hochprofessionelle Verwaltung die komplexen Aufgaben durch die Motivation herausragender Personen, die auch das Gefühl haben, eigene Ziele zu verwirklichen und Einbeziehung kreativer Köpfe zum Erfolg bringt.
BOX: Wenn wir uns die Entwicklung schwul-lesbischen Lebens, der Szene anschauen: Wie sehen Sie dort die Entwicklung, zum Beispiel im Vergleich zu vor 20 Jahren?
Henriette Reker: Zwanzig Jahre sind natürlich ein langer Zeitraum. Bundespolitisch fällt mir hier vor allem die Möglichkeit, eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen zu können, ein. Ich denke, bei allen Schritten auf dem Weg zur Gleichberechtigung war dies eine der wichtigsten Entwicklungen.
Die Entwicklung der Szene in Köln kann ich erst seit der Zeit beurteilen, als ich hier zur Sozialdezernentin gewählt wurde. In den letzten fünf Jahren hat sich hier in Köln sehr viel getan: Es wurde eine Dienststelle für die Belange von Lesben, Schwulen und Transgendern eingerichtet, die auch die Stadtarbeitsgemeinschaft LST betreut, die ja schon 2006 ins Leben gerufen wurde.
Auch die StadtAG LST wurde inzwischen unter Mitwirkung aller Akteure aus Politik, Community und Verwaltung umstrukturiert und fit für die Zukunft gemacht. Ich bin sehr froh, in den letzten Jahren so eng mit den Organisationen der Community zusammen gearbeitet zu haben. Das Engagement der handelnden Personen ist beeindruckend und begeisternd.
BOX: Köln galt lange als schwul-lesbische „Hauptstadt“ der Republik. Viele Dinge und Einrichtungen (Kölner Linie in der AIDS-Politik, der Kölner CSD, Schwulen- und Lesbenzentrum, schwul-lesbische Kultur wie Chöre, Sportvereine, eine vielfältige Szene mit Stimmungskneipen neben Sex-Clubs, großen Diskotheken und Partys uvm.) waren richtungsweisend für die Szene in Deutschland, wie wir sie heute kennen. Gerade hier hat die Stadt in den vergangenen Jahren stark an Strahlkraft eingebüßt. Wo liegen die Ursachen aus Ihrer Sicht? Und was könnte die Stadt tun, dieser Entwicklung entgegen zu wirken?
Henriette Reker: Ich sehe Köln auch heute noch als Hochburg lesbisch-schwulen Lebens in der Bundesrepublik. So nehme ich es auch wahr, wenn ich mit Menschen in anderen Städten spreche. Köln ist eine weltoffene tolerante Kommune, die stolz auf die Vielfalt der hier lebenden Menschen und auf die kreative, engagierte Community ist. Natürlich gibt es auch in anderen Städten, wie z.B. in Berlin eine große Zahl von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern. Dabei darf man aber auch nicht vergessen, dass Berlin mehr als dreimal so groß ist wie Köln.
In Westdeutschland hat Köln nach meiner Wahrnehmung seine Strahlkraft erhalten. Ihr Eindruck hängt aber möglicherweise auch damit zusammen, dass andere Städte zu Köln aufgeschlossen haben. In Städten wie Münster, Dortmund, Oberhausen, Duisburg oder Essen gibt es inzwischen auch Dienststellen für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Auch Städte wie Frankfurt oder Mannheim ziehen jetzt nach. In all diesen Kommunen werden Paraden zum CSD und Aktionen z.B. zum IDAHOT (Internationaler Tag gegen Homo- und Transphobie) durchgeführt. Ich halte es für eine gute Entwicklung, dass lesbisch-schwules Leben inzwischen nicht nur in wenigen Metropolen möglich ist. Darin sehe ich keine Schwächung der Position Kölns, sondern eine Stärkung der Community insgesamt.
Ich stimme mit Ihnen darin überein, dass Köln weiterhin eine Vorreiterrolle übernehmen sollte, um seiner Verantwortung als traditionelle und viel besuchte Hochburg lesbisch-schwulen Lebens gerecht zu werden und diese Wahrnehmung und Attraktivität zu erhalten. Aus Sicht der Verwaltung wurde hier in den letzten Jahren einiges getan. Ich möchte daran erinnern, dass Köln als erste Kommune in Deutschland die Charta der Vielfalt unterzeichnet hat. Auch bei der Gründung des europäischen Rainbow-Cities-Netzwerks war Köln von Anfang an dabei und gehörte zu den Initiatoren dieses Zusammenschlusses auf europäischer Ebene.
Wir haben bereits vor fünf Jahren als eine der ersten deutschen Städte eine Dienststelle für Lesben, Schwule und Transgender eingerichtet. Auch wenn diese aufgrund der Haushaltslage bisher noch nicht so gut ausgestattet werden konnte wie die Büros in München oder Berlin, wird dort hervorragende Arbeit geleistet. Auch die Etablierung der StadtAG LST und ihre Verankerung im Stadtrecht zeigt den Stellenwert, den die Community in Köln genießt. Auch wenn es auch in anderen Städten runde Tische oder ähnliche Zusammenkünfte gibt, ist die StadtAG LST nach meiner Kenntnis einzigartig in Deutschland. Darauf können wir zusammen stolz sein.
Natürlich darf auch Köln nicht in seinem Einsatz für Akzeptanz und Gleichberechtigung nachlassen. Durch die Schaffung einer Diversity-Dienststelle haben wir es geschafft, trotz knapper Haushaltsmittel auf Stellenstreichungen im LST-Bereich verzichten zu können. So konnte die gute Arbeit der Stadt Köln mit den Organisationen der Community in den letzten Jahren weiter verbessert werden. Mir ist es wichtig, dass der Stellenwert des Themas nach innen und außen noch bewusster wahrgenommen wird. Die Arbeit für und mit LSBTI ist ein Querschnittsthema und sollte auch als solches behandelt werden.
BOX: Laut Experten verliert Köln derzeit auch seine Bedeutung als Kunst- und Unterhaltungsstandort. Immer mehr Kunstschaffende, Musik- und Unterhaltungsproduzenten, Medienschaffende und auch innovative Fernsehproduktionen wandern ab – vor allem nach Berlin. Nicht alle sehen die Entwicklung ja kritisch, einige Politiker und Bürger sind ja auch der Auffassung (wie man bei der Auseinandersetzung um den Brüsseler Platz hören konnte), dass man in Köln ruhig leben und arbeiten sollte, zum Feiern eben preiswert nach Berlin fahren. Welche Bedeutung messen sie dem Kunst- und Unterhaltungsstandort bei? Ist für die Freizeitindustrie ein wichtiger Teil der städtischen Infrastruktur?
Henriette Reker: Köln ist schon immer ein Kunst- und Medienstandort. Ich habe allerdings auch den Eindruck, dass der Ruf der Stadt als Kulturstadt in der Außenwahrnehmung seit einiger Zeit noch ausbaufähig ist. Als Medienstandort mit vielen Funk- und Fernsehanstalten sowie Zeitungen und neuen Medien macht Köln in Deutschland so schnell keine andere Stadt etwas vor.
Der Einschätzung, dass man zum Feiern besser nach Berlin fahren sollte, schließe ich mich nicht an. Köln ist weit über die Grenzen Deutschlands und, wie ich im Kontakt mit unseren Partnerstädten erlebe, weltweit als eine Metropole bekannt, in der sehr viel und sehr gut gefeiert wird. Auch die LSBTI-Community in Köln ist doch dafür bekannt, hervorragende Partys feiern zu können. Ich bekomme jedes Jahr im Juli Besuch von einigen schwulen Freunden, die mit mir die Aidsgala und die CSD-Parade besuchen und die Feiern im Rahmen des Colognepride wahrnehmen. Für uns alle ist die Atmosphäre in Köln etwas ganz Besonderes.
Ich würde mich freuen, wenn Sie, Herr Saurenbach, weiterhin die vielfältigen Möglichkeiten, die Ihnen die Kölner Szene bietet, nutzen und auch Sie nicht zum Feiern nach Berlin fahren, auch wenn Sie ein günstiges Ticket bekommen.
BOX: Auch hört man immer mehr Beschwerden – nicht nur aus der schwul-lesbischen Szene – am Verhalten der Stadt und ihrer Behörden: Schwierigkeiten für eine Spät-Konzessionierung des CSD-Straßenfestes, kein vernünftiger Ort für die Tanzbühne, mangelnde Unterstützung der Szene beim Köln-Tourismus, Verweigerung von Plätzen und Geländen, Veranstaltungen, große Hürden für Veranstaltungsorte, schrumpfende Möglichkeiten für Partys durch den Wegfall finanzierbarer Orte usw.. Wie kann die Verwaltung hier bessere Voraussetzungen schaffen? Was wären ihre Vorschläge?
Henriette Reker: Die unterschiedlichen genannten Bereiche zeigen mir, dass es außerordentlich wichtig ist, die LSBTI-Politik als Querschnittsthema zu behandeln. Die von Ihnen genannten Fragen lassen sich nicht in ein paar kurzen Sätzen beantworten, da die Gründe vielfältig sind. So musste beispielsweise die Tanzbühne zum Colognepride von ihrem angestammten Standort auf dem Rathausvorplatz weichen, weil dieser zurzeit nicht mehr als Platz zur Verfügung steht. Seit einigen Jahren steht die Bühne nun vor dem Gürzenich und wird dort nach meinen Informationen sehr gut angenommen. Ich bin mir sicher, dass dieser Bereich für die Tanzbühne noch attraktiver sein wird, wenn das gegenüber liegende Gebäude fertig gestellt sein wird. Andere von Ihnen angesprochene Themen, wie z.B. auch die Spät-Konzessionierung des Straßenfestes, haben auch rechtliche Ursachen oder liegen in der Gleichbehandlung mit anderen Veranstaltungen begründet. Für mich ist es von Bedeutung, dass in vielen dieser Fragen weiterhin ein Dialog mit den Beteiligten stattfindet.
BOX: Wie würden Sie sich eine gesunde Stadt-Entwicklung, eine wünschenswerte Politik in Hinsicht auf ihre schwul-lesbischen Bürger vorstellen? Was wäre Ihr Vorschlag für einen Fünf-Punkte Plan für die nächsten Jahre?
Henriette Reker: Ich halte es nicht für den richtigen Weg, Ihnen fünf Punkte zu diktieren. In den letzten Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sinnvoller ist, auf die Bedürfnisse der Community einzugehen und mit den beteiligten Akteuren gemeinsam nach Vorschlägen zu suchen. Hier ist die Stadtarbeitsgemeinschaft Lesben, Schwule und Transgender ein gutes Gremium, Themen zu positionieren und diese in Politik und Verwaltung zu tragen. Gerade vor dem Hintergrund der ungünstigen Haushaltslage kann nicht alles, was wünschenswert wäre, realisiert werden. Ich setze mich jedenfalls dafür ein, dass für den gesamten Diversity-Bereich und hier natürlich auch für die LSBTI-Politik ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, um das gemeinsam Erarbeitete ausführen zu können.
BOX: Auch heute fehlt es bei vielen Bürgern an Verständnis/Akzeptanz schwul-lesbischer Lebensweisen. Was könnte die Stadt Ihrer Meinung nach tun, um hier Fortschritte zu erzielen?
Henriette Reker: Auch wenn in den letzten Jahren schon viel erreicht wurde, gibt es auch heute noch Homophobie in Deutschland – und natürlich auch in Köln. Auch hier halte ich ein gemeinsames Vorgehen gegen Diskriminierung und Gewalt, für die Akzeptanz aller Lebensweisen für den richtigen Weg. Viele Jugendliche leiden unter der Homophobie in Schule und Freizeit. Auf Schulhöfen und Sportplätzen gilt „schwul“ als weit verbreitetes Schimpfwort.
Öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, wie beispielsweise die Aktion „Queer gewinnt – schwule Pässe gibt es nicht“, die die Stadt Köln im letzten Jahr gemeinsam mit dem 1. FC Köln und dem Fanclub „Andersrum rut-wies“ im Rheinenergie-Stadion durchgeführt hat, sind eine gute Möglichkeit, ein Tabu aufzubrechen und Probleme dort anzusprechen, wo sie bestehen.
Ein Vorpreschen der Stadt Köln ohne Beteiligung der Organisationen der Community halte ich nicht für zielführend. Ich werde mich in den nächsten Jahren – egal in welcher Position – für die vollständige rechtliche Gleichberechtigung aller LSBTI-Menschen einsetzen und hoffe dabei weiterhin auf Ihre Unterstützung. Die größten Erfolge werden wir erreichen, wenn Community, Politik und Verwaltung eng zusammenarbeiten, um die gemeinsamen Ziele zu verwirklichen.