In unserer Kolumne schreibt Thorsten, Mr. Leather Europe 2015, über Erfahrungen und Begebenheiten der europäischen Leder- und Fetisch-Community. Auch dieses Jahr besuchten Zehntausende in Leder, Rubber, Sportswear und zahlreichen weiteren Fetischen das Folsom Europe Straßenfest auf der Fuggerstraße in Berlin. Ein Social Media Post zum Erscheinungsbild der Besucher gab Thorsten Anlass, sich über das scheinbar kollektive Aussehen von Ledermännern Gedanken zu machen.
Kaum zurück aus Berlin habe ich in den sozialen Medien ein Foto von Folsom Europe entdeckt, das Ledermänner in schwarzem Leder zeigt, die meisten mit Schirmmütze, nur einer von ihnen mit blauen Jeans zur Lederjacke. Dazu war zu lesen: „Ich frage mich ob es erstrebenswert ist, genau gleich auszusehen wie alle anderen. Es gibt doch ein breit gefächertes Angebot, um sich von der Masse abzuheben.“ Zugegeben, die Reizüberflutung war auch dieses Jahr in Berlin wieder sehr hoch und man konnte leicht in der Flut an schwarzen Ledermännern auf der Fuggerstraße untergehen. Hier und da stach jemand durch ein auffälliges Outfit heraus. Ein offensichtlicher Modetrend der letzten Jahre scheint der Lederkilt zu sein, der sich vermehrt unter die Lederjeans und Chaps mischt. Als Teil dieser Masse hatte ich jedoch durchaus das Gefühl, dass sich alle wohl und dazugehörig fühlten.
Ich kann mich noch genau daran erinnern, zum ersten Mal die Zeichnungen von Tom of Finland wahrgenommen zu haben: In einer Sonderausgabe der Werke von Touko Laaksonen in einem Stuttgarter Buchladen Ende der 1990er Jahre. Das Buch lag dort in der Auslage und zog sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Nach kurzem Durchblättern kaufte ich es und tauchte das erste Mal ein in die Welt uniformierter, hypermaskuliner Ledermänner, die schwule Sexualität zelebrieren. Kurze Zeit später, an einer Münchner U-Bahn Station auf dem Weg zu einem Konzert, sah ich einen dieser Männer. Von Kopf bis Fuß in schwarzem Leder, mit Schirmmütze und kniehohen Stiefeln, schien er direkt aus einer Tom of Finland Zeichnung entstiegen zu sein. Und seit dieser Begegnung war es mein Verlangen, genauso so aussehen und wirken zu wollen. Es dauerte noch einige Zeit, bis ich mich so weit entwickelte, dass ich mich selbst zum ersten Mal in voller Ledermontur im Spiegelbild betrachtete. Der Mann im Spiegel war nicht mehr der schwule Dorfjunge, der sein Selbst verstecken musste, um zwanghaft in die heteronormative Gesellschaft zu passen. Ich bemerkte plötzlich, dass ich mein eigener sexueller Wunschtraum geworden war, fühlte mich wohl dabei und machte mich auf die Suche nach Gleichgesinnten. Und davon gab und gibt es viele…
Schwarze Lederkleidung in unserer Szene ist vom Prinzip her vergleichbar mit Tracht. Diese traditionelle Kleiderordnung bestimmter Regionen oder Stände ist das äußere Merkmal für eine ethnische Zugehörigkeit. Das Tragen von Tracht bei Familienfeiern oder öffentlichen Veranstaltungen verstärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe und bildet ein bestimmtes Bewusstsein und Tradition. Echter Volkstracht begegnet man im Alltag allerdings fast gar nicht mehr. Bei uns in Österreich oder in Bayern gehört sie noch zum Erscheinungsbild bei Hochzeiten oder an Sonntagen. Trachten zeichnen sich durch eine scheinbare Ursprünglichkeit und Unveränderlichkeit aus und sind das Ergebnis von jahrhundertelangen Entwicklungen. Derzeit boomen Oktoberfeste und Rosa Wiesn, aus Tradition ist schon längst Mode geworden und selbst Textil- und Lebensmittel-Discounter bieten mittlerweile Trachtenmode an. Entgegen strenger Kleiderordnungen und der Entwicklungen der bäuerlichen Tracht in der Vergangenheit sind heutzutage der Individualität scheinbar keine Grenzen mehr gesetzt.
In unserer Fetisch-Community geht es durch das Tragen von Outfits, die nahezu identisch sind, eben um dieses Zusammengehörigkeitsgefühl. Dass auch bei uns der Kreativität keine Grenzen gesetzt sind, haben viele Folsom-Besucher abermals unter Beweis gestellt. Sei es Leder kombiniert mit prunkvollen Uniformjacken und -mützen, vielfältige Farben von Lederhemden und -hosen oder ausgefallene Schnitte. Einheit durch Vielfalt. Allerdings ist nicht jeder von uns mit der Begabung ausgestattet, seine eigene Kleidung zu entwerfen und zu nähen oder hat das nötige Budget, die Dienste eines Maßschneiders in Anspruch zu nehmen. Daher bedienen sich viele dem Angebot der etablierten Fachhändler und fühlen sich wohl dabei, wie ihresgleichen auszusehen und dazuzugehören. Ich selbst trage am liebsten schwarzes Leder von Kopf bis Fuß und erfreue mich über genau diesen Anblick bei anderen Männern. Zumal einheitliche Kleidung den Ausdruck charakterlicher Individualität fördert und sich diese nicht vordergründig durch teure Markenkleidung definiert.
Im Großen und Ganzen könnte die eingangs erwähnte Feststellung wohl eher auf unseren Alltag umgelegt werden. Wir alle unterliegen dem Modediktat zahlreicher Handelsketten, die sich angesichts der Globalisierung in allen Großstädten dieser Welt wiederfinden. Ist es in unserem täglichen Dasein so erstrebenswert, genau gleich auszusehen wie alle anderen? Ich kombiniere gerne Lederjeans mit T-Shirt und Sneakers oder ein Lederhemd zur Jeans und freue mich umso mehr, auch im Alltagsleben diesen Look zu entdecken. (tb)