In unserer Kolumne schreibt Thorsten, Mr. Leather Europe 2015, über Erfahrungen und Begebenheiten der europäischen Leder- und Fetisch-Community. Die Puppy-Bewegung nimmt immer größere Ausmaße an und vor allem junge Fetischisten versuchen ihre ersten Schritte in der Community als Puppies. Was hat es damit auf sich und welche Motivation und Identität steckt hinter dem menschlichen Hundedasein?
Machtaustausch, sexuell stimulierende Erniedrigung und Unterwerfung sind elementar im BDSM-Bereich. Genauso wie das Anlegen eines Halsbandes, um die Inbesitznahme eines Sub durch seinen Top zu verdeutlichen. Diese BDSM-Komponenten sind gängig und akzeptiert. Den zunehmenden Hype von Puppies und Doggies in den USA, aber auch in unserer europäischen Fetisch-Community innerhalb der letzten zehn Jahre, deren Outfits und Rituale belächeln jedoch viele. Das mag daran liegen, dass sich der inhaltliche wie sexuelle Kontext nicht für jeden auf Anhieb erschließt. Ich empfand es ähnlich, bis ich kürzlich gebeten wurde, als Jurymitglied die Bewerber zum International GearedUp Pup 2017 zu bewerten. Diesen Online-Wettbewerb gibt es erst seit diesem Jahr – ohne Veranstaltungsort und damit ohne Reisebeschränkungen für die Teilnehmer. Weltweit besteht für jeden dieselbe Grundvoraussetzung, an diesem Contest teilzunehmen und sich den Jurymitgliedern aus Australien, Finnland, Kanada, Malaysia, Österreich, Pakistan und den USA zu präsentieren. Zu bewertende Kategorien sind Erscheinungsbild, Verspieltheit und Charakterzüge der menschlichen Hunde.
Als Einstieg in die BDSM-Szene eignet sich die Rolle als Puppy bzw. Doggy hervorragend, da anfangs nur relativ preiswerte Utensilien benötigt werden, die beispielsweise im Tierfachhandel zu kaufen sind, und Petplay vergleichsweise harmlos sein kann. Gerade für junge Fetischisten gestaltet sich die Suche nach ihrer Identität und Rolle in der Community mangels Erfahrung und Kontakte schwierig. Als menschlicher Hund kann man im wahrsten Sinne des Wortes in das Geschehen hineinschnuppern. Solche Neulinge bezeichnen sich als Puppy (Welpen), die Erfahrenen, Älteren dagegen als Doggy (Hund). Dabei wählen sie für sich eine geeignete Hunderasse, deren Charakter am besten zu ihnen passt. Beispiele hierfür sind Treue, Gehorsamkeit, Zuverlässigkeit, Geduld oder Instinkt. Erstes Ziel ist der Austausch mit anderen menschlichen Hunden und idealerweise einem Alpha Dog, der sich auskennt und Newcomer in die Szene einführen kann. Nächster Schritt ist es, einen Trainer oder Handler (deutsch: Hundeabrichter) zur Abrichtung zu finden, um z.B. Apportieren, an der Leine gehen oder aus dem Napf fressen beigebracht zu bekommen. Schließlich heißt es, einen Besitzer zu finden, der dem Hund ein Halsband umlegt, auf ihn aufpasst und seine Dienste für sich beansprucht. Im Umkehrschluss geht es dem Puppy darum, brav und gehorsam zu sein und sein Herrchen stolz zu machen. In der Beziehung zwischen Besitzer und Hund ist alles möglich und der Gestaltungsmöglichkeit der Partner sind keine Grenzen gesetzt. Dabei gilt wie auch sonst im BDSM: sicher, vernünftig und einvernehmlich.
Was jedoch ist der Reiz des menschlichen Hundedaseins? Neben dem eingangs erwähnten Wunsch nach Machtgefälle in der sexuellen Beziehung zwischen einem dominanten und devoten Partner habe ich hauptsächlich die Motivation herausgehört, die menschliche Rolle für eine gewisse Zeit abzulegen und die Sorgen des Alltags vorübergehend hinter sich lassen zu können. „Ich brauche Führung in meinem Leben und habe anfangs nach einer Bestimmung gesucht, um Männern zu gefallen. Hunde haben eine einfache Gefühlswelt, sind glücklich, verspielt und sorgenfrei. Genau so wollte ich sein. Die Hundemaske verbirgt alle menschlichen Züge und Eigenschaften. Sie hilft mir dabei, ohne Worte zu kommunizieren und mich stattdessen mit Geräuschen und Körpersprache auszudrücken.“ Diese Aussage fasst den Anreiz eines Puppies am besten zusammen. Mit Hundemaske, Hundeschwanz-Buttplug und auf allen Vieren kommen menschliche Hunde in ihren Headspace, also in die geistige Zustandsveränderung, in der die Umwelt zunehmend ausgeblendet und als rauschähnliche Ekstase empfunden wird.
Wenn dieser Bereich des Fetischismus in den 1990er Jahren noch weitgehend unbekannt war, gibt es heutzutage kaum noch Leder- oder Fetischveranstaltungen ohne Hundespielwiese, Fetisch-Fachhändler haben ihre Produktpalette um Doggy-Zubehör erweitert und in zahlreichen Ländern werden Mr. Puppy-Wahlen ausgetragen. Mir bekannte Mr. Leather-Titelträger sind bekennende Puppies und setzen sich für Gleichgesinnte öffentlich ein. Diese Entwicklung hat durchaus ihre Berechtigung, denn menschliche Hunde sind auf der Suche nach Akzeptanz, Verständnis und Zugehörigkeit. Das kommt uns allen ja durchaus bekannt vor und daher ist es angebracht, beim nächsten Zusammentreffen einem Puppy oder Doggy den Kopf oder Bauch zu kraulen und ihn sowie seine Rolle zu respektieren statt zu belächeln…