Ivan, Mr. Leather Russia

Am 21. Juli 2018 setzte sich Ivan gegen zwei weitere Kandidaten in Sankt Petersburg durch, um als allererster den Titel „Mr. Leather Russia“ zu gewinnen. Der erste Amtsinhaber dieses Titels erzählt hier Tyrone Rontganger über die Ängste der russischen Ledercommunity, Dating-Seiten und schöne Gefühle.

BOX: Hallo Ivan. Wenn ich an die LGBTQ-Community in Russland denke, gehen mir Bilder von Diskriminierung, Unterdrückung und sogar staatlich geförderte Brutalität durch den Kopf. Aber wie bitte ist die Wirklichkeit?
Ivan: Hi Tyrone. Du hast da gerade die Wirklichkeit aufgelistet! Seitdem dieses homophobe Gesetz 2012 verabschiedet wurde, höre ich selber immer wieder von der stets steigenden Diskriminierung, Gewalt und Brutalität! Aber, obwohl ich sehr offen schwul lebe, habe ich sowas gottseidank selber am eigenen Leib nie erlebt. Ich denke, das hat jedoch damit zu tun, dass ich in der schwulen Sphäre arbeite, dass fast alle meine Freunde schwul sind. Ich lebe daher in einer Art schwulem Glashaus! Trotzdem weiß ich, dass ich auch als Mr. Leather Russia besonders gefährdet bin und sehr aufpassen muss. Nichtsdestotrotz geht der Kampf für die Gleichberechtigung von Homosexuellen weiter.

BOX: Wenn es in Russland nicht ganz ungefährlich ist, offen schwul zu sein, wie es jetzt für dich, als Mr. Leather Russia in der Öffentlichkeit zu stehen. Hast du dabei keine Angst?
Ivan: Seitdem die Gesetze zum Verbot von Homosexualität in Kraft getreten sind, wird mir diese Frage tatsächlich öfters und überall gestellt! Aber ich verstehe auch warum. Wie ganz viele Fetischkerle und auch ganz normale Schwule hier in Russland muss ich wirklich aufpassen – besonders wenn ich Leder trage und dabei ‚schwul‘ aussehe, und nicht nur wie ein Biker. Daher trage ich seit 2012 bei Events und Partys immer seltener Volllederoutfits und habe dadurch leider auch die Lust dazu verloren. Das ist ja wirklich schade. Aber ich werde auch immer älter und habe gelernt, besser damit umzugehen und das Ganze etwas entspannter zu sehen. Die Risiken, verhaftet oder zusammengeschlagen zu werden, sind einfach zu hoch. Das will ja keiner von uns! Diese Angst hat natürlich für uns alle in der russischen Community negative Auswirkungen gehabt.

BOX: Wie ist denn die Fetischcommunity in Russland?
Ivan: Ich kenne hier seit Jahren eine Menge Fetischisten! Es gibt viele von uns in Russland, aber leider sind wir in diesem sehr großen Land weit verstreut. Viele haben keine Lederkleidung und träumen davon, sich in Lederhosen und Lederhemden in der Öffentlichkeit zu zeigen.
BOX: Wie bist du zum Lederfetischisten gekommen?
Ivan: Seit meinem 17. Lebensjahr weiß ich, dass ich nicht nur schwul bin, sondern auch dass ich auf Leder stehe. Ich fing dann gleich damit an, mir Lederklamotten zu besorgen und sie auch jeden Tag zu tragen. Indem ich Leder selber öfters trug, war es dann einfacher, andere Lederkerle kennenzulernen und zu daten. Ich hatte auch schon bei mir zu Hause Leder-Fotoshootings organisiert und die Bilder dann in meinen schwulen Online-Profilen gezeigt. Danach habe ich mehrere Artikel über den Lederfetisch für www.gay.ru geschrieben, in den ich andere ermutigen wollte, ihre Ledersachen mit Stolz und Mut in der Öffentlichkeit zu tragen. Ich erzählte, wie man Kontakte zu anderen Fetischkerlen knüpfen konnte. 2010 haben mein Partner und ich unsere erste Lederparty in einem kleinen schwulen Club veranstaltet. Da waren dort insgesamt drei Partys, aber leider blieb der Erfolg aus. Auch von Russland aus reisen die meisten Fetischkerle nach Berlin oder in andere europäische Großstädte, wenn sie wirklich etwas in ihren Klamotten erleben wollen. Wir haben hier gar keine Lederclubs oder -Bars!

BOX: Was war dein allererstes Lederkleidungsstück? Was hast du dafür bezahlt?
Ivan: Ich habe mir 1998 auf einem chinesischen Markt eine Lederhose gekauft. Ich war megastolz auf sie und habe sie mir jeden Tag angezogen. Mittlerweile ist das jetzt 20 Jahre her! Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich dafür bezahlt hatte, aber weil sie aus China kam, war sie auch nicht wirklich teuer.

BOX: Warum wolltest du “Mr. Leather Russia“ werden?
Ivan: Wie ich vorher gesagt hatte, war mir über die Jahre wegen der sehr eingeschränkten politischen Lage für Schwule die Lust auf Leder vergangen. Als ich dann im Juni von der Mr. Leather Russia Wahl in Sankt Petersburg hörte, fand ich die Idee einfach toll! Ich habe mich daher nur aus Spaß gemeldet und war ganz überrascht, als ich die Wahl tatsächlich gewann. Das hatte ich echt nicht erwartet. Aber es war ein sehr schönes Gefühl und eine prickelnde Erfahrung, überhaupt daran teilzunehmen. Ich versuche jetzt, dadurch meine eigenen Ängste zu überwinden und wieder mehr Leder zu tragen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir Lederkerle in Russland etwas mehr international sichtbar wären, besonders weil wir das hier nicht ohne Gedanken wagen können.

BOX: In einem Land, wo die Ledercommunity von der Politik eingeschüchtert wird, wie findet ihr Gelegenheiten, euch zu treffen?
Ivan: Als ich damals die Lederpartys organisierte, kamen eine Menge Kerle aus Moskau und anderen Städten, die nicht sehr weit entfernt sind. Aber für die Kerle in Chabarowsk oder Wladiwostok ist es nach wie vor wirklich sehr schwierig, sich mit anderen Fetischkerlen persönlich zu treffen. Da geht es leider meistens nur durch den Austausch von Fotos oder persönlichen Geschichten über das Internet. Ich höre immer wieder, wie sich viele Fetischmänner in Deutschland über das Internet und die ganzen Dating-Seiten beschweren, aber für uns hier ist es noch eine sehr wichtige Lebensader. Sonst wüssten wir nicht mal voneinander!

BOX: Eine letzte Frage, Ivan. Welche Städte sind in Russland am Wichtigsten für das schwule Leben, besonders was Fetisch betrifft?
Ivan: Wenn es um Lederfetischisten geht, gibt es meiner Meinung nach mehr Typen in Moskau, die sich als „Lederkerle“ bezeichnen würden. Moskau ist sehr groß und da gibt es einfach mehrere Möglichkeiten, unter den Radar zu tauchen, etwas offener zu leben und dabei Partner sogar zu suchen und finden. Die Moskauer denken auch etwas pragmatischer und wissen daher, was sie wollen und erwarten dürfen. Ein ganz großes Stück danach kommt dann Sankt Petersburg. Von den anderen Städten kann ich leider kaum etwas sagen.

BOX: Vielen Dank, Ivan für dieses kurze Interview. Wir wünschen unseren russischen Fetisch-Brüdern und -Schwestern alles Gute!
Ivan: Danke, Tyrone, für diese Chance, etwas über uns Ledertypen in Russland erzählen zu können.