Interview John Grant

Im Februar traf Martin Wolkner für BOX den amerikanischen Sänger John Grant, der bei der Verleihung der Teddy Awards auftrat.

Bekannt wurde er 2010 mit seinem ersten Soloalbum „Queen of Denmark“, von dem mehrere Lieder im Film „Weekend“ verwendet wurden. Sein aktuelles Album „Grey Tickles, Black Pressure“ erschien im Oktober 2015. Das Gespräch mit dem charmanten, polyglotten Musiker wurde vollständig auf Deutsch geführt.

John-Grant-1---Credit,-Michael-Berman-Kopie
BOX: Du hast in Deutschland Sprachen studiert.
JG: Ja, ich war ein Jahr in Heidelberg. Das war 1988.Und dann 5 Jahre in einem Kaff namens Germersheim. Ich lebe schon seit 25 Jahren nicht mehr in Deutschland, aber ich habe ab und zu Fernweh. Auch nach Berlin. Ich mag die Dialekte aus dem Norden: Plattdeutsch, Ruhrpott und Berlinerisch.
BOX: Warum ziehst du nicht wie viele Künstler nach Berlin?
JG: Es kann sein, dass das noch kommt. Ich habe keinen Plan und bin jetzt total glücklich auf Island. Ich bin nicht so dermaßen erfolgreich, dass ich mir einfach ein Haus kaufen kann. Das dauert noch ein bisschen, schätze ich.
BOX: Aber ich bin froh, dass deine Musik nach 15 Jahren Arbeit mehr Beachtung findet.
JG: Dankeschön! Ja, ich auch. Das tut einem natürlich gut. Es sind 10 Jahre bei der ersten Band draufgegangen. Und jetzt bin ich seit 5, 6 Jahren bei dem Solo-Dings dabei.
BOX: Draufgegangen würde ich nicht sagen. Als The Czars habt ihr ja auch gute Musik gemacht.
JG: Danke. Das ist auch nur halbernst gemeint.
BOX: Aber mit dem neuen Album bist du noch experimentierfreudiger geworden als mit dem zweiten, „Pale Green Ghosts“. Du hast ein paar Musikstile oder experimentellere Sachen mit reingenommen, von der Rhythmik, vom Gesangsstil, teilweise sprichst du auch einfach nur.
JG: Ja. Ich möchte nicht, dass die Leute sich langweilen. Und ich möchte mich auch nicht langweilen. (lacht) Ich finde, meine Stimme ist auch ziemlich… (überlegt) begrenzt. Es kommt noch dazu, dass ich mich für so viele verschiedene Musikrichtungen interessiere. Ich habe klassische Musik auf dem Klavier gelernt: Rachmaninoff und Prokofjew, die Russen, die Franzosen. Die Deutschen waren natürlich auch dabei: Bach, Brahms.
BOX: Du sagst, du möchtest dich nicht langweilen, aber du musst bei Konzerten deine Lieder immer wieder und wieder spielen.
JG: Ja, genau. Aber das klappt irgendwie, weil das Publikum, die Energie und die Orte immer anders sind. Und es macht Spaß, auf der Bühne zu sein. Das war nicht immer so. Es hat eine Zeit gegeben, wo ich wirklich sehr betrunken sein musste, um überhaupt die Bühne betreten zu können. Das war alles andere als angenehm.
BOX: Warum hast du dann trotzdem weitergemacht?
JG: Weil ich wusste, dass das in mir steckt, dass ich das kann. Ich wusste nicht wie, aber ich wusste, dass ich einfach weitermachen muss, bis ich das kann. Denn ich dachte, wenn ich außerhalb des Konzerts oder außerhalb dieses Kontexts mit Leuten so unbekümmert oder locker oder gelassen umgehen kann, dann müsste ich das eigentlich auch auf der Bühne machen können. Und es läuft ziemlich gut, würde ich sagen. Ich fühle mich wohl auf der Bühne und freue mich jeden Tag darauf.
BOX: Was hat dich zum Trinken bewegt?
JG: Ich wurde überhaupt nicht damit fertig, dass ich schwul war; dass ich mit mir selbst kein Gespräch darüber führen konnte. Das ist wirklich sehr schade. Ich durfte einfach nicht schwul sein. Das kam einfach nicht in die Tüte. (lacht)
BOX: Von deiner Familie her?
JG: Das hat religiöse Gründe, bei der Familie zu Hause. Auf der Schule war das anders. Das hatte nichts mit Religion zu tun, sondern mit Tradition. Es war einfach überhaupt nicht okay, schwul zu sein. Das würde heißen, dass man schwach sei, kein Mann sei, dass man nicht behaupten könne, Mann zu sein, wenn man gleichzeitig sagt: „Ich bin schwul.“ Und das hätte geheißen, dass man keine Aussichten hatte, was Liebe anbelangt. Es gab keine Hoffnung, jemanden zu finden, mit dem man zusammen eine „normale“ oder „gesunde“ Beziehung führen konnte. Das war irgendwie ausgeschlossen. Habe ich gedacht. Habe ich mir eintrichtern lassen von anderen. Ich finde es sehr schade, dass ich mich damals nicht dagegen wehren konnte, weil ich denen zustimmte, die mich in der Schule anschrien, mich verprügeln und mich fertigmachen wollten. Ich konnte auch mit meinen Eltern kein Gespräch darüber führen. Das war wirklich eine sehr unangenehme Zeit. Ich glaube, deswegen habe ich getrunken, so dass ich das Leben ausleben konnte, das ich ausleben wollte. Und ich konnte das nicht ohne Trinken und ohne Drogen.
BOX: Dabei warst du ja eigentlich schon in einem künstlerischen Umfeld mit den Czars.
JG: Ja, aber bei denen war das Thema auch irgendwie nicht angesagt. Die waren alle nicht schwul und ich hatte nicht das Gefühl, dass ich meine eigene Geschichte thematisieren konnte. Also bei der Musik mit denen zusammen. Dass das irgendwie nicht passte. Oder ich habe mich zumindest nicht getraut, das zu machen.
BOX: Aber das hat uns dein wunderbares Solodebüt „Queen of Denmark“ beschert, in dem das alles aus dir ausgebrochen ist. In der letzten Zeit hast du ein paar Orchesteraufnahmen gemacht, einmal mit dem BBC-Orchester und in Deutschland gibt es eine Sonderedition von „Grey Tickles, Black Pressure“ mit einer Zusatz-CD.
JG: Ja, stimmt. Das war mit Royal Northern Sinfonia und ist auch live aufgenommen worden. Es war ein ganz tolles Erlebnis, mit Orchester zu arbeiten. Es ist natürlich ziemlich anstrengend, mit so vielen Leuten gleichzeitig umzugehen, aber ich fand das sehr bereichernd.
BOX: Wirst du es noch mal machen?
JG: Das könnte ich mir schon vorstellen. Wenn mir das in Deutschland angeboten würde, würde ich auch sofort zusagen. Aber das kostet auch ne Menge. Das hat 80-100.000 Pfund gekostet.
BOX: An was arbeitest du gerade?
JG: Eigentlich nichts. Ich mache so ein bisschen mit dem Computer rum und kucke mir verschiedene Klänge an. Versuche mir vorzustellen, was ich als nächstes machen möchte. Wenn man nachts im Bett liegt, dann fragt man sich: „Ja, was mach ich als nächstes? Wenn ich mit allen Leuten arbeiten könnte, mit wem würde ich arbeiten wollen?“ Ich könnte mir vorstellen, mit Nile Rogers… Nile Rogers fände ich gut. Oder Alan Sparhawk von Low aus Minnesota. Die sind wirklich super. Und… (überlegt) Keine Ahnung. (lacht) Ich würde gern mal zusammen mit Nina Hagen singen. Ich habe als junger Mann sehr viel Nina Hagen gehört und finde sie nach wie vor ganz toll. Obwohl ich die Platten von heute nicht so gut finde wie die ersten vier.
BOX: Ist nicht mehr so rotzig und punkig.
JG: Ja, genau. Das war eben das, was ich so gut fand. „NunSexMonkRock“ ist immer noch meine Lieblingsplatte. Und die ersten beiden Platten mit Spliff zusammen fand ich so super. Aber ich weiß nicht, ob man da mit ihr was machen könnte. Ich weiß überhaupt nicht, was dabei rauskommen würde, aber…
BOX: Sie hatte auf jeden Fall jetzt wieder eine kleine Nebenrolle in „Desire Will Set You Free“, einem Berliner Queer-Film. Du wirst morgen beim Teddy Award leider mein Lieblingslied „Caramel“, das vielleicht schönste schwule Liebeslied, nicht spielen.
JG: Nein, leider nicht. Ich gebe das auf Tour immer als Zugabe. Ich liebe das Lied auch. Habe ich für den Falschen geschrieben, aber ich kann‘s jetzt für den Richtigen singen. (lacht) Ich hatte schon viel Unglück in der Liebe. Ich hatte einige Beziehungen, die keine wirklichen Beziehungen waren. Bis ich gemerkt habe, dass da keine wirkliche Intimität stattfindet zwischen uns. Das wollte ich unbedingt finden und glaube, das jetzt endlich gefunden zu haben. Nach fast drei Jahren ist es immer noch, dass es… Ich bin noch verliebter als am Anfang. Ich habe ihm vor ein paar Tagen Blumen geschickt. Aber es hat 45 Jahre gedauert, bis ich das gefunden habe.