Im Interview: Torsten Voll

Torsten Voll aus Frankfurt war zweimal als Kandidat bei der Wahl „Mr Leather UK“ und hat es zweimal nicht geschafft. Wir wollen wissen, wie es ist, einen Mr-Leather-Titel nicht zu gewinnen und haben daher mit Torsten über seine Motivation, seine Enttäuschungen und seine Zukunftsvisionen in der Ledercommunity gesprochen.

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BOX: Hi Torsten! Warum wolltest du als Deutscher Mr. Leather UK 2014 werden?

Torsten: Hi Tyrone!  Ich lebe jetzt schon seit 20 Jahren in London und habe 2014 zum ersten Mal einen Flyer für die Wahl zum Mr. Leather UK gesehen. Ich wußte, dass es jahrelang nicht mehr stattgefunden hatte und habe mir dann gedacht „Da muss ich mitmachen…“, denn ich bin eigentlich für jeden Spaß zu haben und liebe es, gut in Leder auszusehen. Auf der anderen Seite möchte man irgendwo ja auch schon für sich sehen, wie weit man in so etwas kommt. Meine Motivation war es, zu zeigen, dass es andere Kerle gibt – Kerle, die gar nicht zum Stereotyp „Lederkerl“ passen. Ich dachte, dass ich, verglichen mit den anderen Teilnehmern, da gewissermaßen anders war und eine echte Alternative zum Stereotyp bot!

BOX: Also, auch wenn du Spaß haben wolltest, was hast du dabei gedacht, als der Gewinner – ein Anderer – ausgerufen wurde?

Torsten: Enttäuschung, aber gleichzeitig auch Erleichterung! Avi, welcher an dem Abend Mr. Leather UK 2014 wurde, war nett und machte als Mr. Leather doch eine gute Figur. Ich war aber schon etwas enttäuscht, es nicht unter die ersten drei geschafft zu haben. Du denkst dann nach, warum es so gekommen ist. War es meine Person oder Persönlichkeit? Hatte ich als Ausländer überhaupt eine faire Chance? Eines der Ziele des MSC London war es, auch jüngere Mitglieder zu werben, aber weder der Gewinner noch die zwei Runner-Up`s spiegelten dies wieder. Alle drei waren mehr oder weniger derselbe Typ – typisch Ledermann – und ich sah leider unter ihnen keine Vielfalt oder Unterschied. Ich sah dreimal dasselbe und keine Abweichung vom Stereotyp! Auf der anderen Seite war ich auch ein bisschen erleichtert, da viel Verantwortung auf den Gewinner zukommt. Der Abend war trotzdem echt klasse und hat mir auch Spaß gemacht.

BOX: Ging etwas an dem Abend schief?

Torsten: Ich denke, dass ich mich in den zwei Runden auf der Bühne nicht gut genug für den Titel dargestellt hatte. Obwohl ich eigentlich nicht wirklich schüchtern bin, war ich etwas nervös, als ich vor dem großen Publikum sprechen musste. Vielleicht haben auch meine Lederoutfits eine gewisse Rolle gespielt. Andererseits kann ich aber auch nicht ausschließen, dass ich optisch anders als der Stereotyp-Lederkerl aussehe: Ich bin recht groß, schlank, sportlich, unbehaart mit ein paar Tattoos und Piercings. Von den fünf Teilnehmern war ich auf den letzten zwei Plätzen mit einem älteren Kandidaten und das war echt enttäuschend.

BOX: Trotzdem hast du es zwei Jahre später für den Titel 2016 wieder versucht …

Torsten: Nachdem ich meine Wunden von 2014 geleckt hatte und über die Enttäuschung vorbei war, wollte ich es einfach für mich noch mal wissen und probieren. Ich hatte Fotos von der Wahl zum Mr. Leather UK 2015 gesehen und habe mir gedacht, dass ich sowohl von der Zahl der Teilnehmer als auch bei den Teilnehmern selbst andere Chancen gehabt hätte, etwas in den Wettbewerb mitzubringen, was meiner Meinung immer noch fehlte: Das Gegenteil zum typischen Lederkerl. Ich hatte ja auch den Vorteil, schon einmal mitgemacht zu haben und wusste so einigermaßen, wie es läuft.
Im Nachhinein glaube ich, meine Chancen waren aber 2014 besser, als es nur fünf Teilnehmer gab – und auch nur eine 3-köpfige Jury. Deshalb war ich etwas verwundert, es nicht in die Auswahl der ersten drei geschafft zu haben.

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BOX: Glaubst du, dass deine Nationalität als Deutscher eine negative Rolle gespielt hat?

Torsten: Ich hoffe, dass Rassismus und Nationalität nirgendwo bei uns eine Rolle spielen! Eine Community, in der es so etwas gibt, ist keine richtige Community und Großbritannien ist das multi-kulturellste Land Europas. Jedoch spiegelt sich diese Vielfalt meiner Meinung nach leider nicht in der schwulen Community wieder. Wenn man auf Apps wie Grindr & Co schaut, gibt es viele Profile, in denen steht: no Blacks – no Asian – no Older, etc. Ich habe es selber auch schon ein paar Mal miterlebt, dass ich dort rassistische Kommentare wegen meiner Nationalität bekommen habe. Stolz darauf zu sein, wo wir herkommen, das ist okay, aber rassistisch zu sein, ist es ganz und gar nicht. Ob es jetzt daran gelegen hat, dass ich als London-Deutscher weniger Chance hatte, weiß ich nicht! Ich finde, dein Beispiel, zweimal German Mr. Leather gewesen zu sein, sehr positiv für Deutschland und ein Vorbild für andere Länder!

BOX: Wer hat dich nach den beiden Wahlniederlagen persönlich unterstützt?

Torsten: Meine Freunde haben mich sehr gut unterstützt. Wir machen viel Scheiß miteinander. Sie wissen, dass ich ein einfühlsamer Mensch bin – jemand, der sich immer wieder neue Ziele setzt und auch ein gutes Vorbild sein will. Wir wissen, man muss immer sein Bestes geben, auch wenn die Chancen auf Erfolg gering sind.

BOX: Du hast vorhin den ‚stereotypischen Lederlook‘ mehrmals kritisiert. Heißt das, du glaubst, wir sollten uns jetzt davon weg bewegen?

Torsten: Ich würde nicht sagen, sich wegzubewegen, sondern eher mehr „außerhalb des Klischees zu denken“. Mir ist es zum Beispiel aufgefallen, dass alle Mr-Leder-Europe von 2010 bis einschließlich 2015 einen Bart getragen haben – sowohl als auch immer eine Lederuniform mit Lederhemd, Lederjeans und Sam-Brown-Schultergürtel. Ich finde Motorradlederkombis auch sehr geil, aber wo sieht man sie bei den Leather-Misters? Auch könnte ich mir gut einen geilen Kerl in knielangen Leder-Footballshorts als Mister vorstellen. Ich finde die Lederszene hat viel mehr Vielfalt und schaut oft leider so extrem einseitig aus.

BOX: Aber will die Lederszene diese Vielfalt? Warum soll man das den ändern, wenn es schon gut läuft?

Torsten: Glaubst du, Tyrone, dass ein Mr. Leather eine traditionelle Leder-Uniform tragen muss, unabhängig von seinem Alter? Heutzutage gibt es eine große Auswahl an Leder- und Motorradklamotten, die ebenso geil sind, wenn nicht sogar geiler als ein typisches Lederoutfit! Ich denke, bei der Wahl sollten die Kandidaten die eigene Individualität zeigen, denn wir im täglichen Leben tragen wir auch nicht alle das Gleiche.
Die Lederszene hat schon alle möglichen Lederliebhaber vertreten, man sieht die neuen Lederdesigns bei den Treffen wie den Leatherprides, den Recon-Partys usw. Ich spreche hier einfach nur über das offenere Denken, das ein Mr. Leather nicht etwas Bestimmtes tragen oder ein bestimmtes Aussehen haben muss.

BOX: Jeder Verein in Europa hat sein eigenes Wahlformat. Glaubst du, du hättest bei einem anderen Verein und einem anderen Wahlformat bessere Chancen gehabt?

Torsten: Ich war dieses Jahr zum ersten Mal bei der LeatherPride in Antwerpen, wo neben der Jury auch das Publikum stimmen durfte. Dort musste jeder Teilnehmer für Mr. Leather Belgien in der letzten Runde eine Showeinlage geben. Das hat mir gut gefallen, weil es sehr unterhaltend für die Zuschauer war, aber sie muss nicht unbedingt dazu gehören. Das Publikum zum Mitstimmen einbeziehen, das macht jede Wahl viel offener. Wenn alle Vereine die Wahlformate vereinfachen und sich angleichen würden, wäre das sicherlich fairer für alle.

BOX: Hättest du gewonnen, was wolltest du als Mr. Leather erreichen?

Torsten: Bei meiner Teilnahme in der Wahl in 2014, wollte ich den MSC London attraktiver für junge Männer machen, da ich selbst noch recht jung aussehe. Als Mr. Leather hätte ich außerdem gerne dazu beigetragen, auf Themen wie Drogen, sexuelle Krankheiten, HIV, Depression und Coming-Out mehr aufmerksam zu machen. Ich selbst war vor 10 Jahren von Hodenkrebs betroffen; es ist wichtig, dass man damit offen umgeht und Hemmungen abbaut. Auch ganz wichtig ist meiner Meinung nach mehr Sichtbarkeit. In London sollten die Typen stärker ermutigt werden, in Leder auf die Straße oder in die Szene zu gehen. Ich hätte daher die Lederszene in der allgemeinen Londoner Schwulenszene gerne vertreten. So gibt es schon seit sehr langer Zeit im G.A.Y.-Club jeden Donnerstag einen Pornodarsteller-Wettbewerb, wo ich ab und zu sehr gern in der Jury säße – das könnte man als Mr. Leather bestimmt einfädeln.

BOX: Was, glaubst du, könnte man sonst noch in der Lederszene ändern bzw. verbessern?

Torsten: Man könnte hier in London neben der Fetish Week im Juli noch ein eigenes Ledertreffen organisieren. Berlin hat ja jedes Jahr neben Folsom Europe auch noch das BLF/BOG-Ostertreffen. Neben den „Nights Out“ des MSC London, wo man Leder in den regulären Clubs und Bars trägt, wäre ein monatlicher Leder-Kaffeeklatsch eine tolle Idee. Warum nicht auch die Cabaret Shows der Drag Queens besuchen, die in London ganz super sind? Ansonsten wäre es positiv zu überlegen, warum es scheint, dass es hier weniger Ausländer in der Lederszene gibt und wie Mann ihnen gegenüber offener sein könnte.

BOX: Wie beurteilst du die Arbeit der beiden Wahlgewinner 2014 und 2016?

Torsten: Meine Antwort ist rein basierend auf Observation, genauer: wie positiv der Titel genutzt wird. Ich finde es noch zu früh, eine genaue Meinung von Joe King, Mr. Leather UK 2016, abzugeben, da das Ausschlaggebende ist, nicht wie der Mr. Leather aussieht, sondern was nach seinem Jahr seine Hinterlassenschaft sein wird. Bei Avi im Jahr 2014 gab es wenig Publicity und Charity-Work.

BOX: Eine letzte Frage: Wirst du es noch einmal versuchen?

Torsten: Alle guten Dinge sind drei! Also, warum nicht?

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  • Torsten Voll
  • Alter: 41
  • Beruf: Verbraucherschützer
  • Hobbys: Ehrenamtliche Arbeit, Fotographie, Reisen, Radfahen
  • Sternzeichen: Krebs

Das Interview führte Tyrone Paul Rontganger