Februar 2017: Tag des Fetischs

In seiner Kolumne schreibt Thorsten, Mr. Leather Europe 2015, über Erfahrungen und Begebenheiten der europäischen Leder- und Fetisch-Community. Am 20. Januar 2017 war der internationale Tag des Fetischs. Dieser Tag entstand 2008, um das Bewusstsein für die Fetischszene zu erhöhen sowie die BDSM-Gemeinschaft zu unterstützen und wird seither jeweils am dritten Freitag im Januar begangen:

Ich beschäftige mich derzeit intensiv mit einem neuen Projekt über Fetischismus und versuche, dieses Thema nüchtern von außen zu betrachten und blende dabei aus, dass ich nun schon lange in der Fetischwelt unterwegs bin. Fetisch: Abartig, pervers, bizarr oder spannend, vielseitig, befreiend? Das Wort Fetisch stammt vom lateinischen ‚facticius‘ und bedeutet ‚durch Kunst hervorgebracht‘. Im übertragenen Sinn: Eine von Menschen geschaffene Sache, von der diese Menschen glauben, dass sie Macht über sie habe. Fetische in ihrer ursprünglichen Bedeutung sind Objekte, denen menschliche oder übermenschliche Kräfte zugeschrieben werden, z.B. ein Amulett, eine Statue oder ein Totem.

In sexuellem Zusammenhang ist ein Fetisch ein Objekt, mit dem man Lust verbindet. Der Fetischismus verlagert das Interesse vom menschlichen Subjekt auf ein Körperteil, eine Eigenschaft, ein Kleidungsstück oder einen anderen Gegenstand. Man unterscheidet üblicherweise zwischen Geruchs-, Geschmacks- und anderen Fetischismen, die sich auf das Hören, Sehen und Betasten von Sexualobjekten konzentrieren. Eigentlich kann sehr vieles zum Fetisch werden, das mit unseren Sinnen wahrnehmbar ist. Bestes Beispiel dafür ist das Verbinden sexueller Glücksgefühle oder einer sozial angenehmen Situation mit bestimmten sinnlichen Arrangements. In gewisser Hinsicht sind wir alle mit Merkmalen des Fetischismus ausgestattet, die als Vorlieben harmlos erscheinen, etwa für eine bestimmte Haarfarbe oder Kleidung. Fetische sind im wahrsten Sinne so vielfältig wie wir Menschen selbst. Der Fetischismus lehrt uns, dass es im Grunde genommen keine ‚normale‘ Sexualität gibt, sondern nur ganz grob untergliederte Bereiche der Trieborientierung, in denen auch wir uns wiederfinden werden, sofern wir Wert darauf legen, unsere eigene Sexualität zu erkunden.

Im Interview zu einer österreichischen Fernsehreportage über Fetischismus hatte ich den Windelfetischismus angesprochen und mit dieser Aussage die heftigsten Reaktionen ausgelöst. Denn für viele sind Fetischisten Freaks, die völlig aus der Reihe tanzen. Eine eher selten vorkommende oder gar totgeschwiegene sexuelle Vorliebe für Windeln, Fläschchen und Babykleidung, für Menschen mit Amputationen oder für das Beschmiertwerden mit Lebensmitteln, Schlamm oder Körperflüssigkeiten unterstreicht die Meinung der Allgemeinheit, dass Fetischisten Menschen mit abartigem, merkwürdigem sexuellen Verlangen sind, weil sie nicht in den Normalitätsrahmen unserer Gesellschaft passen. Was die Gesellschaft allzu schnell verurteilt, übt auf eine nicht unwesentliche Anzahl von Menschen einen leidenschaftlichen Reiz aus. Viele von ihnen nähern sich allerdings ihren heimlichen Fetischen nicht, sondern entrüsten sich in der Öffentlichkeit moralisch darüber und verfolgen diese als krankhaft oder sogar kriminell.

Ich habe vergangenes Jahr die Einladung zu einer österreichischen Talkshow, die nachmittags ausgestrahlt wird, dankend abgelehnt. Denn genau diese Art von Medien-Meinungsbildung ist in meinen Augen der falsche Weg und die falsche Zielgruppe, um ernsthaft über das Thema Fetischismus und gesellschaftliche Normen zu diskutieren. Fetischismus darf nicht zum Kasperltheater abdriften und zur Freakshow werden oder gar einer oberflächlichen Unterhaltungssendung dienen, nur weil die ‚dunkle, sündige‘ Seite sexueller Vorlieben immer schon interessanter und anlockender war als die moralisch-züchtige. Fetischismus ist keine Modeerscheinung, obwohl in der Modewelt gerne bildlich zitiert. Auch Massenmedien lassen immer wieder bestimmte sexuelle Vorlieben (Stichwort „50 Shades of Grey“) interessant erscheinen, enttabuisieren und entzaubern aber damit den Fetisch an sich.

Hinter jedem von uns Fetischisten steht ein Mensch. Einer, der seine Neigung annimmt, seine eigenen Ängste und Vorurteile überwunden hat und seine Leidenschaften genussvoll und ehrlich auslebt. Zu diesem Zweck finden sich in jeder größeren Stadt Organisationen, Lokale und Clubs sowie Online-Foren, um Gleichgesinnte zu treffen, die die eigenen sexuellen Vorlieben teilen, und um sich dabei weiterzuentwickeln. Unsere schwule Subkultur bietet Schutzräume, Intimität und zahlreiche Möglichkeiten, die vielseitigen Fetische auszuleben. Es gibt vermehrt Events, die Alltagsaktivitäten mit Fetisch verbinden, z.B. die Konzerte „Classic Meets Fetish“ alljährlich zu Folsom in Berlin oder „Fetish Baroque“, das im März 2017 in Köln Premiere hat. Musiker wie auch Publikum erscheinen in Fetisch-Kleidung und durchbrechen damit bisher vorgegebene Grenzen und Normen. Ebenso gibt es in Städten wie Frankfurt, Hamburg und Mannheim regelmäßige Fetish Pub Crawls. Die Veranstalter und Organisatoren innerhalb unserer Community haben damit eine soziale Aufgabe übernommen: Dass sich Fetischisten der gesellschaftlichen Kontrolle entziehen und ihre Sexualität mit all ihren fantastischen Formen und Möglichkeiten ausleben können – befreit und beglückt. Diese Aufgabe gehört von uns allen gewürdigt und noch weiter ausgebaut…