Ezra D.

Box: Erzähle unseren Lesern doch zu Beginn etwas zu deiner Person: Wer bist du, wie alt bist du, wo lebst du, was machst du?

Ezra: Ich bin Ezra, 24 und wohne Wien, auch wenn ich eigentlich Deutscher bin, studiere hier Psychologie und arbeite gerade an meiner Masterarbeit.

Box: Wenn es früher um Homosexualität ging, gab es oft die Frage: „Wann hast du das erste Mal gespürt, dass du so bist.“. Viele werden sich in diesem Zusammenhang sicher fragen, wann hast du empfunden, asexuell zu sein? War dir dies schon sehr früh bewusst oder war es ein Prozess?

Ezra: Defintiv ein Prozess, ich kannte bis in meine Zwanziger rein den Begriff nicht wirklich. Mit 13 oder 14 bin ich auf die Idee gekommen, bi zu sein, weil ich Männer und Frauen zu gleichen Maßen interessant fand – nämlich fast gar nicht. Zumindest nicht so wie meine Altersgenossen damals, wobei ich auch dachte, die übertreiben was das angeht eh nur.

Box: Was heißt es für dich asexuell zu sein, und wie lebst du das? Wie hat sich das für dich entwickelt?

Für mich heißt es hauptsächlich eben, dass ich ziemlich wenig sexuelle Anziehung fühle, wenn überhaupt. Bei den wenigen Momenten bin ich mir nicht unbedingt sicher. Es hat sich für mich so ergeben, dass es „leichter“ ist, andere queere Freunde zu haben, die das verstehen und in meinem Freundeskreis hab ich auch viele andere „Steine“, wie wir uns manchmal spaßeshalber nennen. Durch vieles Umziehen war eine Beziehung bei mir eh nicht realistisch, weil ich immer aufm Sprung war sozusagen, aber mein Interesse an Beziehung ist dadurch auch gedämpft, auch weil ich zusätzlich halt auch auf dem aromantischen Spektrum bin und mich auch sehr wenig verliebe. Aber dadurch, dass ich eben auch andere Steine in meinem Leben hab, bin ich mit meinem Singledasein eigentlich  sehr zufrieden.

Box: Empfindest du dich als „verschieden“ von anderen, sexuellen Menschen? 

Ezra: Manchmal ja – aber nicht negativ. Früher als ich jugendlich war, war es schwerer, allen dabei zuzuhören, wie sie über Crushes reden und in Beziehung sind, während man selbst so etwas nicht fühlt. Die Überlegung zwischen „lügen mich alle an“ und „fehlt was bei mir? Bin ich kaputt?“ ist keine spaßige, weil beide Optionen nicht gerade gut sind. Heutzutage ist es mehr witzig vor allem mit meiner (sehr heterosexuellen) WG all diese Themen um Sex, Liebe und Beziehung zu bereden und wie ich da teilweise herausfalle. Ich bekomme dafür zwar Fragen, aber nie Ablehnung. Sie vergessen es aber immer wieder, weil sexuelle Anziehung für sie so normal ist und fragen mich dann „Wenn dir jemand auf der Straße begegnet, den du echt heiß findest, achtest du da auf die Schuhe?“ und ich starr sie dann entweder nur an bis sie lachend selbst drauf kommen oder sag was wie „unrealistisch but go on“ oder „ich bin ein Stein aber nein.“ Oder so. In meinem Kernfreundeskreis bin ich eh nicht alleine, deswegen gibt es da kein verschieden mehr. Vor Bekannten/Kollegen vermeide ich es aber darüber zu reden und bleibe sehr vage, weil ich nicht will, dass sie mich als anders wahrnehmen oder ich mich erklären muss.

Box: Ist Asexualtität ein Leben ganz ohne Lust? Ohne Selbstbefriedigung? Wie stehen Autosexualität und Asexualtität für dich zueinander?

Ezra: Für mich definitiv nicht! Als trans Mann bin ich auch auf Testo und huuuuh die gestiegene Libido war definitiv ein Thema. Ich hab auch Lust an Sex, was für Viele paradox scheint, aber ich mag die Verbindung, ich mag die körperlichen Sensationen und ich bin auch kinky, der Poweraustausch macht mir auch Spaß. Für die Partner achte ich da in erster Linie halt darauf, wie ich ihnen vertraue und wie ich allgemein mit ihnen klicke. Aber im Vergleich zu den Leuten in meinem Leben, mit denen ich darüber geredet habe, ist mein Bedürfnis nach Sex deutlich geringer… Monatelange „Durststrecken“ fallen mir nicht mal wirklich auf. Bei Autosexualität/Masturbation würde ich sagen unterscheide ich mich nicht wirklich von meinen Freunden.

Box: Wie passen sexuelle Orientierungen und Identitäten zur Asexulität? Nimmt man sich, wenn man sich als Asexuell empfindet, weiterhin dezidiert als Hetero(a)sexuell, Homo(a)sexuell oder Queer usw. wahr?

Ezra: Ich nehm mich defintiv weiter als Bi und Queer wahr, weil ich eben Beziehungen verschiedenster Art mit Männern, Frauen, Nicht-Binären und Genderqueeren Menschen eingehe bzw. mir vorstellen kann. So viel an mir ist queer, das hat nicht nur mit der Asexualität zu tun, aber das Brechen mit der Heteronormativität und Amatonormativität auf dieser Achse gibt mir schon ein Gefühl von ‚Queerness‘. Asexualität ist ja auch ein Spektrum, für viele die Grey oder Demisexuell sind kann dann schon auch noch Homo oder Hetero oder Bisexuell dazu kommen und Asexualität sagt ja noch nichts über die romantische Anziehung aus.

Box: Lebst du in einer Beziehung oder strebst du eine Beziehung an? Und was wären die Voraussetzungen für eine Beziehung? Sind/Müssten die Partner ebenfalls asexuell sein?

Ezra: Anstreben ist vermutlich zu viel gesagt, aber ich bin nicht abgeneigt. Ich bin sehr zufrieden als Single und kann das auch mein Leben lang sein – jetzt wo ich eben meine Familie gefunden hab und mich von der Disney Vorstellung getrennt hat, das eine Beziehung/Ehe zum Happy End dazu gehört. Aber wenn ich jetzt eine oder mehrere Personen treffen sollte, mit denen ich klicke und mir eine Beziehung vorstellen kann, würde ich es anstreben. Voraussetzungen hab ich so gesehen keine, jede Beziehung sieht anders aus und Bedürfnisse müssen so oder so kommuniziert werden, egal ob einer oder alle asexuell sind. Anders herum, weil ich trans bin, weil ich feminin bin, weil ich bi bin  und weil ich asexuell bin, fall ich bei vielen eh schon aus dem Dating Pool heraus, deswegen hab ich nicht gerade die besten Chancen, bei jemanden zu landen, damit hab ich mich schon abgefunden.

Box: Tatsächlich scheint es so, dass Asexuell „unsichtbar“ ist. Wie ist das in deinem Umfeld von Familie und Freunden? Wie offen kannst du damit umgehen und wie war die Reaktion, wenn du darüber gesprochen hast?

Ezra: Meine Familie – ich weiß nicht wie bewusst sie sich dessen ist, auch wenn ich es ihnen gesagt hab. Aber Familie ist eh ein schwieriges Feld, was Kommunikation angeht, zumindest im Bezug auf mich und meine queeren Identitäten, deswegen ist das nicht weiter überraschend. Meine „Found Family“ ist komplett queer und hat wie gesagt mehrere Asexuelle und Aromantische Leute im Freundeskreis. Außerhalb dessen ist es immer mit Erklären/Erstaunen verbunden. Ich weiß sehr viel über Sex und Kink und rede wahnsinnig gerne darüber, die meisten bekommen das mit, bevor sie mitbekommen das ich ace bin. Wenn sie wissen was Asexualität ist, bekommen sie die Verbindung zwischen den beiden Faktoren nicht ganz auf die Reihe… Und meine WG vergisst es auch wie gesagt immer mal wieder gern. Es ist also selbst wenn ich offen damit umgehe immer noch unsichtbar bzw. ignoriert oder vergessen.

Box: Allgemein, wie empfindest du die Wahrnehmung/Reaktion der Umwelt auf Asexualtität und Asexuelle?

Ezra: Außer in der queeren Szene hänge ich hauptsächlich mit anderen Psychologen ab und die meisten haben da zumindest schon mal von gehört. Aber es ist oft so, dass Asexualität mit prüde sein verbunden wird oder mit einer gewissen Naivität, als wüssten Asexuelle nicht viel über Sex oder fänden es alle konsequent ekelhaft. Und es wird als weiblich wahrgenommen, weil ich und meine männlichen Freunde sich dazu oft mehr rechfertigen müssen als meine weiblichen Freunde. Auch interessant ist die Reaktion „Aber du bist doch attraktiv“ die manchmal kommt. Was ich damit anfangen soll, weiß ich bis jetzt immer noch nicht.  

Box: Betrachten wir allein schon die Werbung, leben wir offensichtlich in einer stark sexualisierten Gesellschaft. Wie empfindest du das? 

Ezra: Sexualisierte Werbung nervt mich weniger als das singende Baby von Saturn. Es scheint mir nur albern und ich glaub „Sex sells“ funktioniert auch bei langem nicht mehr so gut wie früher. Als jemand der von Sex fasziniert ist, im sexualwissenschaftlichen Sinne, komm ich damit klar – zweideutige Witze kommen dann doch auch oft von mir. Es ist definitiv erwartet, dass man sexuelle Anziehung empfindet, was belastend ist bzw. vor allem war. Dass die sexualisierte Gesellschaft halt auch Rape Culture beinhaltet und unsere Jugendlichen immer mehr und mehr reif und sexy darstellt das ist ein anderes Thema, aber dafür sind wir nicht hier.

Box: Für andere sexuelle Orientierungen oder Identitäten ergibt sich oft ein Leidensdruck aus ihrer Situation heraus, empfindest du selbst oder allgemein in Bezug zur Asexualtität solches auch?

Ezra: Mittlerweile nicht mehr, aber es war früher sicherlich so. Ich hab das Label auch vor mir hergeschoben, weil ich „normal“ sein wollte und hab mich hinter tausend ausreden versteckt, um mich nicht damit auseinander setzen zu müssen. Ich bin ersichtlich queer, ich bin ein sehr femininer Mann, und damit geh ich offen um. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich Männer interessant finde. Aber mit der Asexualität bin ich vorsichtiger, weil das eben noch mit mehr Missverständnis verbunden ist und bei mir eben auch vielschichtig und komplex ist, ich will mich nicht ständig erklären müssen oder verurteilt und dehumanisiert werden – das ist ermüdend. Ich wurde auch schon aufgrund meiner Asexualität sexuell belästigt, das macht einen auch vorsichtig.