DJ Chris Bekker

CHRIS BEKKER Fragen außerhalb des Taktes an einen DJ

Box: Hallo Chris. Schön, dass wir mit dir einen Blick hinter die Kulissen der Glamour-Welt der DJ- und Clubkultur werfen dürfen.
Chris: Ich werde mein Bestes geben.
Box: Du spielst von Europa bis Asien, von Südamerika bis Kanada und vor allem vor ganz unterschiedlichem Publikum. Gibt es da einen Unterschied zwischen einer gay- und einer straight crowd für dich?
Chris: Musikalisch nicht. Da mache ich keine Kompromisse. Und eigentlich gibt es das ‚100% gay bzw. LSBTTIQ’ oder ‚100% straight’ event sowieso nicht mehr. Und das ist auch super so. Einen Unterschied gibt es dennoch: Wenn du dir international große, überwiegend schwule Veranstaltungen anschaust zum Beispiel ‚La Démence’ in Brüssel, dann steht dort oftmals das Event – die ‚family’ – und nicht das Musikalische gerne im Mittelpunkt. Bedeutet, dass eine Nacht musikalisch durchaus im mainstreamigen Bereich beginnen kann, dann housiger wird, dann progressive und gegen Ende technoid. Das ist bei überwiegend straight events aus meiner Erfahrung eher seltener der Fall, da dort mehr in EINEM Sound-Genre gespielt wird.

Box: Du bist einer der derjenigen aus unserer Community, die – so würde man sagen – ‚es geschafft haben’. Deine Musikproduktionen sind weltweite Chartbreaker und Clubhymnen. Du produzierst gemeinsam mit einem DER Pioniere elektronischer Musik, Paul van Dyk. Wie fühlt sich das für dich an?
Chris: Natürlich ist das großartig. Und es passiert nicht selten, dass ich mich während eines Auftritts kneifen muss, wenn ich vor vielen Tausend Menschen stehe, die bei deinem eigenen Musikstück ausrasten. Ich glaube, ich hatte (neben Mut) in vielerlei Hinsicht einfach eine ganze Menge Glück: Das Glück, sehr früh Unterstützer an meiner Seite zu haben, die an mich geglaubt und immer wieder ermutigt haben, NOCH eine Schippe draufzulegen. Ich werde aber auch niemals vergessen, wo ich herkomme und wie ich begonnen habe. Unsere community und auch Veranstalter, wie bspw. die Kölner Green Komm, die bereits genannte La Démence oder Kitkat und GMF Berlin spielten und spielen dabei einfach eine wichtige Rolle, ohne die ich nicht dort wäre, wo ich heute stehe.

Box: Bist du eigentlich noch aufgeregt vor deinen Auftritten oder spult man da eher ein Programm ab, was von Vornherein feststeht?
Chris: Ich bin immer noch aufgeregt. Vielleicht nicht mehr so, wie vor noch vor einigen Jahren, aber immer noch in einem gesunden Maße. Und was das eigentliche DJ-Set anbelangt, so weiß ich in der Regel lediglich den Titel, mit dem ich beginnen werde. Alles andere entscheide ich mit dem Herzen vor Ort.

Box: Bist du als DJ mittlerweile nicht nahezu taub durch die dauernde laute Beschallung?
Chris: Das werde ich in der Tat oft gefragt. Sieh mal: Die Lautsprecher im Club sind in der Regel ausschließlich auf die Tanzfläche ausgerichtet. Bei uns am DJ-Pult ist es meist deutlich leiser. Zudem können wir dort die Lautstärke für uns nochmals individuell einstellen. Wir könnten uns somit sogar in Zimmerlautstärke unterhalten.

Box: Du bist nicht nur Musikproduzent und DJ, sondern lehrst auch an zwei Berliner Hochschulen. Wie kann ich mir das vorstellen? Wie passt das zusammen?
Chris: Ja, richtig. Ich lehre seit mehr als 14 Jahren Multisensorik und Neuromarketing, und es passt perfekt zusammen. Denn eigentlich lehre ich das auf wissenschaftlicher Ebene, was ich in der Praxis musikalisch mit dem Herzen umsetze: Nämlich wie unser Gehirn Sinneswahrnehmungen in Emotionen überführt. Gänsehautmomente sind die Währung unseres Gehirns, und ich habe sie während des Auflegens andauernd.

Box: Du produzierst seit mittlerweile sechs Jahren exklusiv den Sound für den Mode-Designer Guido Maria Kretschmer im Rahmen der Fashionweek. Wie kam es dazu?
Chris: Guido und ich kennen uns bereits seit vielen Jahren, noch bevor er so teleprominent wurde wie jetzt. Das lange Kennen macht vieles einfacher. 2012 habe ich meine eigene Agentur ‚klang ID berlin’ gegründet. Dort produzieren mein Kreativ-Team und ich ausschließlich Sounds für die Nicht-Club-Welt, von der Entwicklung von Soundlogos für öffentliche Verkehrsmittel und Blinde über Soundscapes für Fitness-Clubs, haptisches Sound-Design von Gegenständen, wie bspw. Autotüren, Musik für Angstpatienten beim Zahnarzt bis hin zu Klanginstallationen für Museen und Live-Shows.

Box: Das heißt, du hast eigentlich DREI Jobs?! Wo bleibt da Zeit fürs Privatleben?
Chris: Die Grenzen sind total fließend. Ich wüsste auch nicht, welchen der drei Jobs ich am meisten mag und ab wann ‚privat’ beginnt. Ich sehe das so: Weil ich meine Jobs liebe, brauche ich niemals zu arbeiten. Und in meinem Leben gibt es auch keine Wecker – mal unangenehm frühe Flüge ausgenommen.

Box: A propos ‚fliegen’. Die Lufthansa zeigte dein 1h Album-Video ‚Berlinition’ monatelang in ihrem Inflight Entertainment Programm. Hast du es selbst dort mal gesehen?
Chris: Ja. Das Video hatten wir damals über ein Jahr lang in Berlin gedreht. Es zeigt MEIN Berlin, wie ich es sehe und erlebe. Ich weiß noch genau, als ich das Video dann tatsächlich zum ersten Mal auf einem interkontinentalen Lufthansa-Flug sah. Es war auf dem Weg nach Sao Paulo – ein unbeschreibliches Gefühl. Als ich meiner Mum total euphorisch davon berichtete, war sie mehr begeistert davon, dass es Fernseher an Bord von Flugzeugen gibt. Hab ich ihr dann erklärt… und dann fand sie es auch super.

Box: Du fliegst jedes Wochenende irgendwo hin. Kannst du ein Flugzeug überhaupt noch sehen?
Chris: Ach, sooo schlimm ist das nicht. Grundsätzlich fliege ich immer noch sehr gerne. Ich setze oder lege mich hin und schlafe fest – falls ich das Bordprogramm bereits auswendig kenne (lacht). Was mich viel mehr stresst, ist der Security-Wahnsinn mit riesigen Warteschlangen. Alles andere stresst mich Gott sei Dank null.

Box: Lass uns noch einen Blick auf deine Musik werden. Was ist das Schwierigste, wenn du an eigene Musikproduktionen denkst?
Chris: Zweifellos die Tatsache – und das wird dir jeder Produzent bestätigen, dass du ab einem bestimmten Augenblick der Produktion nicht mehr unterscheiden kannst, ob ein Sound oder eine Melodie TATSÄCHLICH noch gut ist. In so einer Produktion kann es passieren, dass du dir eine 5-Sekunden-Sequenz 400 oder 500 Mal angehört hast, bis sie deiner Meinung nach perfekt ist. Aber je öfter du sie hörst, umso schwieriger wird es, objektiv dabei zu bleiben. Unser Gehirn ‚hört sich die Melodie förmlich schön’. Oft ist es so, dass ich die Hälfte der Zeit für die ersten 90% des Tracks benötige und noch mal ebenso lange für die restlichen 10%. Da kann man dann auch mal verrückt werden.

Box: Was sind deine persönlichen DJ-Highlights in den vor dir liegenden Monaten?
Chris: Sicherlich meine eigene ‚Chris Bekker Night #2’ am 14.06. im Gibus Club Paris. Und dann stehen selbstverständlich die unterschiedlichen Prides an: Bestätigt sind bisher Auftritte zum World Pride in New York, sowie in Europa in Mailand, Madrid, Köln, Barcelona und Berlin. (kn)