In seiner Kolumne schreibt Thorsten, Mr. Leather Europe 2015, über Erfahrungen und Begebenheiten der europäischen Leder- und Fetisch-Community. Der 16. November ist alljährlich der internationale Tag der Toleranz. Unter Toleranz versteht man die Fähigkeit, neuartige, andersartige, fremdartige Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen zur Kenntnis zu nehmen und zu respektieren. Thorsten macht sich hierzu aus der queeren Perspektive seine Gedanken:
Der Begriff Toleranz ist in unserer Community weit verbreitet. Seit Jahren gehen wir bei den CSDs für Toleranz und Akzeptanz auf die Straße und erwarten von unserem sozialen Umfeld Anerkennung und Achtung unseres eigenen Lebensstils und unserer Werte. Speziell wenn es um gruppenbezogene Feindlichkeit geht, werden Homosexuelle von etlichen ihrer Mitmenschen noch immer abgewertet und viele verwechseln Toleranz mit Ignoranz. Wobei ich in diesem Zusammenhang Goethes Worte zitieren möchte: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ Tolerieren kann man eine Situation, ich als homosexueller Ledermann möchte aber von Anderen respektiert und akzeptiert werden.
Wie steht es um die Toleranz in unseren eigenen Reihen? Wir alle erwarten Toleranz, sind wir denn auch selbst tolerant? Aus aktuellem Anlass ein Beispiel von der diesjährigen Fetisch-Veranstaltung „Wien in Schwarz“ der LMC Vienna. Am Freitagabend gab es eine gemischte Fetish-Night namens perv!club, zu der Besucher aller sexuellen Orientierungen eingeladen waren. Einige bekannte Gesichter der Wiener Lederszene blieben der Veranstaltung fern. Damit konfrontiert war die Antwort durchwegs, dass man keine Heteros, vor allem keine Frauen, auf solchen Partys dulde. Auch auf von mir organisierten Fetisch-Partys habe ich öfters schon die Kritik gehört, dass Frauen anwesend waren. In unseren Kreisen gibt es doch ausreichend Men-Only Events und ist es nicht ab und an erfrischend, über den Tellerrand hinauszusehen und eine, wie beim perv!club, durchaus gelungene Mischung zu genießen?
In unseren queeren Reihen erweckt unterschiedlich stark ausgeprägte Schrillheit oft Unverständnis und Ablehnung. In manchen Situationen und Diskussionen kann teilweise von regelrechter Homonormativität gesprochen werden – was also gilt als „richtig schwul“ und an welche normative Auflagen (wer immer diese definiert) hat man sich letztendlich zu halten? Wenn wir jeden von der Norm abweichenden Ausdruck von Homosexualität ablehnen, um etwa nicht zu schrill oder gar zu auffällig zu sein, drängen wir auf Anpassung und schränken so unsere eigene Freiheit ein. Die Toleranz bleibt auf der Strecke.
Gehen wir nun noch einen Schritt weiter, und zwar in unsere Leder- und Fetischszene. Mit gutem Beispiel voran gehen die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, die seit Jahrzehnten aus der Ledercommunity nicht mehr wegzudenken sind und sich u.a. für Toleranz einsetzen. Ein weiteres gutes Beispiel für das Aufbrechen der, ich nenne sie mal ledernormativen Auflagen, hat uns Pup Tugger beim letztjährigen International Mr. Leather Contest geliefert. Der damalige Mr. Phoenix Leather 2015 betrat die Bühne in einem schwarzen Lederoutfit mit glitzerndem Umhang und High Heels, was regelrecht für Aufsehen und Diskussionen sorgte. Vor allem im Nachhinein polarisierte er die Leder-Community: Kritik gegen Enthusiasmus. Pup Tugger regte zur Nachahmung an, letztes Jahr bei Folsom Europe haben wir butchige Lederkerle in Stöckelschuhen gesehen, dieses Jahr bei IML in Chicago haben gleich drei meiner Mitstreiter in High-Heels, Handtasche und Korsett auf sich aufmerksam gemacht. Die wichtigste Botschaft dieser kontrastierenden femininen Elemente: sich weder verstellen noch vorgegebenen Normen unterwerfen zu müssen – sei einfach du selbst!
Sind wir als konforme Masse, unsere Körper in schwarz-glänzendes Leder gehüllt, die Muir Cap tief ins Gesicht gezogen à la Tom of Finland, zu wenig tolerant, so schüchtern wir jegliche andere Fetischgesinnte ein und lassen sie spüren, dass sie unerwünscht sind. Seien es das fehlende Lederhemd oder gar die falschen Schuhe zur Ledermontur, Puppys und weitere andersartige Ausprägungen unserer queeren Subkultur. Eine lebendige Fetisch-Gemeinschaft zeichnet sich durch eine bunte und spannende Vielfalt aus, in der sich jeder wiederfinden kann und soll. Jeder von uns kann stolz auf seinen Selbstentwurf der sexuellen Fetischidentität sein und mit Respekt seinem Nächsten begegnen, um die Einheit unserer Community zu sichern!