Chicco, Mr. Leatherman Evidence

Chicco aus Italien war noch neu zugezogen an der Cote d’Azur, als er den Titel „Mr. Leatherman Evidence“ gewann. Der erste Amtsinhaber dieses Titels erzählt hier Tyrone Rontganger über neue Chancen, Fetischgeheimnisse, Geld und Liebe.

BOX: Hi Chicco. Der Verein „Evidence“ ist noch relativ neu. Wie bist du dazu gekommen?
Chicco: Ich bin vor zwei Jahren von Italien nach Nizza gezogen und dort fing mein ganzes Leben wieder neu an! Ich fand eine Wohnung in Antibes, einer Kleinstadt unweit von Nizza und eines Tages in November 2016 war ich in Nizza unterwegs, als ich eine große Gruppe von geilen Lederkerlen vor mir sah. Ich dachte, ich sehe nicht richtig, aber doch, da gingen sie die Straße runter – ich natürlich diskret hinterher! Als ich dann später zu Hause war, habe ich sofort gegoogelt und fand heraus, dass es das „Nice so Fetiche“ Fetischevent war, organisiert vom Verein „Evidence“. Ich konnte es einfach alles nicht glauben und wollte natürlich ein Teil davon sein.

BOX: Deswegen wolltest du auch Mr. Leatherman Evidence werden?
Chicco: Naja, mit dem Umzug nach Nizza hatte ich einfach neue Chancen. Eine neue Arbeitsstelle, neue Sprache, neue Freunde! Ich war voller Hoffnung und einfach bereit für alles, was kommen mag! Als ich ein Jahr später von der Wahl zum Mr. Leatherman Evidence erfuhr, wollte ich unbedingt daran teilnehmen! Mir war es egal, ob ich den Titel gewinne oder nicht – ich wollte nur dabei sein. Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass ich gewinnen könnte, aber ich fühlte mich im Verein so gut aufgenommen, dass ich ihn einfach unterstützen wollte – und natürlich viele geile Lederkerle kennenlernen! Mich kitzelte die Herausforderung, und ich sah es als einen Weg zur persönlichen Verbesserung. Ich wollte nur stolz auf mich sein, offen und ehrlich mit meiner Sexualität umgehen. Aber den Titel zu gewinnen war mir echt eine große Ehre!

BOX: Wie ist deine Erfahrung als Italiener in Frankreich?
Chicco: Natürlich ist es manchmal schwierig, als Ausländer zu leben, denn man muss vieles doppelt so gut wie die Einheimischen machen, um wahrgenommen zu werden. Dazu kommen auch manche interkulturellen Schwierigkeiten, die man sonst in dem Heimatland nicht kennt. Ich finde aber, dass es allen Schwulen so geht, egal wo wir leben! Wir müssen alle kämpfen, damit wir von unserer Umgebung so akzeptiert werden, wie wir sind. Keiner soll sein Anderssein verstecken müssen. Natürlich habe ich manchmal Schwierigkeiten mit der Sprache und kann mich nicht so gut ausdrücken wie auf Italienisch, aber ich habe gelernt, dass die Lederfamilie keine internationalen Grenzen kennt. Ich weiß nicht, ob mich der Vereinsvorstand unbedingt gewählt hätte, aber sie haben mich alle sehr gut unterstützt und die Jury bei meiner Wahl war aus aller Herren Länder. Ich bin selber kein Italiener, ich bin Europäer und Weltbürger. Mein Fetisch verbindet mich mit Männern überall auf dieser Welt.

BOX: Dein Titel ist brandneu: Du bist der erste Mr. Leatherman Evidence! Heißt das auch, dass es keinen gibt, der dir helfen kann?
Chicco: Es ist echt toll, diese Schärpe als Allererster zu tragen! Ich glaube, es macht vieles schöner, denn ich muss nicht in die Fußtapsen eines Anderen treten. Daher ist es für mich eigentlich ein sehr großes Glück, keinen Vorgänger zu haben! Trotzdem haben wir im Verein schon zwei ehemalige Leder-Misters, Stéphane und Manu, die mir natürlich gute Ratschläge geben und zur Seite stehen. Roby, unser Vereinsvorsitzender, ist für mich ein Ledermann par excellence und mir somit auch ein Vorbild, der sich für unsere europäische Community richtig gut einsetzt. Alle drei haben mich sehr ermutigt, mich über die internationale Community unterrichtet und mir sogar für die Wahl ihre Ledersachen geliehen.

BOX: Deiner Meinung nach, wie viel Leder muss man selbst besitzen, um Teil der Ledercommunity sein zu können?
Chicco: Ich finde, es ist egal, was man auf der Haut trägt – eigentlich zählt nur, was man in sich trägt! Hast du ein gutes Herz? Fütterst du deinen Geist? Nur dann, wann man innerlich aufgeräumt ist, kann man erwarten, äußerlich von Anderen ernst genommen zu werden. Bei Leder ist es noch extremer, finde ich, denn viele Männer tragen Leder wie eine Art Maske oder Verkleidung: Sie ziehen Leder an und glauben, sie werden dabei automatisch zu jemand anderem. Ich möchte hierzu Almodovar zitieren: „Ein Mann ist nur authentisch, wenn er das wiederspiegelt, wovon er geträumt hat!“. Ich mag nicht viele Lederklamotten in meinem Schrank haben, aber ich bin doch ein Lederkerl, denn ich fühle mich innerlich so. Ich hätte gern mehr Sachen anzuziehen, aber sie kosten Geld und das habe ich nicht endlos zur Verfügung. Ich habe aber ein Bild von mir in meinem Kopf, wie ich mich entwickeln möchte, und ich arbeite langsam dahin. Es ist bestimmt sehr schön, wenn man genug Geld hat, sich auf einmal komplett in Leder auszustatten, aber die Typen, die das nicht können, sollen sich nicht schämen müssen. Wir sind doch alle eine Familie und deine Familie akzeptiert dich, wie du bist!

BOX: Was ist denn dein Leder-Lieblingsstück?
Chicco: Ohne Zweifel meine Lederhose! Das Gefühl vom engen Leder auf meinen Beinen ist einzigartig und macht mich jedes Mal geil!
BOX: Woher kommt dein Geschmack nach Leder in deinen gewöhnten warmen Klimaregionen?
Chicco: Ich war Teenager, als ich das „Human Nature“ Madonna-Video sah und fand es irgendwie richtig faszinierend – auch George Michael in seiner Polizistenuniform hat mich geil gemacht! Dann eines Tages in einem Buchladen stieß ich auf ein Buch von Tom of Finland. Ich wohnte aber derzeit noch bei meinen Eltern zu Hause und hatte nicht den Mut, mir das Buch zu kaufen, weil ich wusste, ich würde es meinen Eltern erklären müssen. Mir war es schon damals bewusst, dass ich noch etwas warten würde müssen, bevor ich mich ausleben dürfte. Als ich dann älter war, hatte ich doch anfangs vor Leder Angst – außerdem hatte ich auch kein Leder zu Hause. Aber ich spürte schon sehr stark die Attraktion vom Leder.

BOX: Wie bist du dann endlich dazu gekommen?
Chicco: Ich war vor vier Jahren mit meinem Partner in Amsterdam und wir besuchten ganz spontan den Mr. B Laden dort. Ich war sehr schüchtern, als ich da hineinging, aber das Personal war sehr freundlich. Ich glaube, sie haben schnell bemerkt, wie scharf ich auf alles war! Ich wollte einfach alles anprobieren, ein volles Lederoutfit, aber mir fehlte das Geld. Ich probierte eine Lederhose an und hatte sofort einen Ständer! Und als ich in den Spiegel guckte, konnte ich nicht glauben, dass ich es war! Es war alles viel geiler, als ich mir je vorgestellt hatte! Ich kaufte mir eine Lederweste und das hat mir für das Erste gereicht: Damit war ich dann überall auf den Events.
BOX: Du wolltest früher deine Fetischseite vor deinen Eltern verbergen. Wie sieht es heutzutage aus?
Chicco: Ich habe eine sehr gute Beziehung zu meinen Eltern! Sie sind jetzt beide über 70 und richtige Landeier! Meine Mutter kann weder lesen noch schreiben, aber sie ist voll süß und sehr liebevoll. Sie hat mich auch schon in Leder gesehen und ich habe ihr alles vom Verein und der Ledercommunity erklärt. Meine Eltern wissen auch von meinem Titel und ich erzähle ihnen von meinen Reisen zu den Fetischevents, aber ich glaube, sie verstehen es nicht so ganz. Bei meinen vier Schwestern ist es leider etwas anders – eine glaubt, ich mache Pornofilme, nur weil sie Fetisch sofort mit Pornographie verbindet. Ich glaube, es ist schwierig für sie alle, das alles richtig nachzuvollziehen und zu begreifen.

BOX: Und wie sieht das alles dein Partner?
Chicco: Mein Freund ist ein toller, geiler Mann! Wir sind beide versatil, sehr offen für Neues und genießen daher echt ein tolles Sexleben! Er ist Tattoo-Künstler und kann daher genauso sein und leben, wie es ihm passt. Er freut sich sehr wegen meines Titels und er begleitet mich auf den Reisen, wo er nur kann. Er hat im Tattoostudio viel zu tun, aber er tut, was er kann, um diese einmalige Mister-Erfahrung mit mir zu teilen.

BOX: Und was kommt als Nächstes?
Chicco: Da mein Verein nicht zum ASMF, dem nationalen Fetischverein in Frankreich gehört, darf ich an der Wahl zum Mr. Leather France nicht teilnehmen. Die regionalen Wahlen fangen schon jetzt langsam an und die jeweiligen Gewinner von den kleinen Wahlen machen dann in Paris bei der Wahl der nationalen Titel mit. Ich wünsche allen Kandidaten viel Glück und freue mich schon, bald den neuen Mr. Leather France kennenzulernen. Ich habe ein gutes Verhältnis mit Aurélien, dem aktuellen Titelträger und hoffe, wir bleiben auch danach gute Freunde.

BOX: Erzähle uns etwas bitte über deinen Blog?
Chicco: Ich habe mein Blog „Misterpercaso“ gestartet, um meine Erfahrungen als Titelträger und meinen Enthusiasmus dafür mit anderen zu teilen. Ich glaube, mehr Leute sollen verstehen lernen, was da alles dahintersteckt. Es ist noch neu, aber ich werde es immer wieder mit Mister-Interviews, Eventnews und Fetisch-Informatives updaten. Es macht mir Spaß, diese kleine Online-Welt kreieren zu können, auch wenn es mir nicht immer einfach fällt. Wenn die Leser aber etwas Anderes lesen wollen, und nicht nur Mister-News, dann nehme ich auch gerne Vorschläge über Facebook entgegen.

BOX: Stichwort „Event-News“: Ich habe gehört, dass es eine Polizeirazzia bei der Wahl Mr. Rubber Italia in Rom gab. Du warst dort! Was ist passiert?
Chicco: Stimmt! Ich war bei der Wahl in Rom, als plötzlich ca. 30 Menschen die Bar stürmten – Polizei, Sanitäter und Drogendezernat mit Spürhunden. Sie haben die Party gestoppt und alle Anwesenden nach Drogen abgesucht. Obwohl sie nichts gefunden haben, haben sie die Bar sofort geschlossen. Wegen angeblicher Brandgefahr! Sowas ist echt schade, aber vielmehr sehr verletzend, denn wir wissen alle, warum sie sich wirklich gekommen sind! Wir wurden nur wegen unseres Fetisches fast wie Kriminelle behandelt. Sie wollten uns beschämen und klein machen, aber das haben sie sich selbst angetan, finde ich. Für mich ist das leider typisch für Italien – dort hat man wenig Fetisch-Freiheit. Deswegen fliegen die Italiener alle so oft wie möglich nach Berlin!

BOX: Was möchtest du der deutschen Leather-Community mitteilen?
Chicco: Ich möchte mich bei allen in Deutschland bedanken! Ihr seid ein Vorbild für schwule und Fetisch-Rechte und Freiheiten! Ich beneide euch, wie ihr dort euren Fetisch einfach so ausleben könnt und ich hoffe, ich werde Deutschland öfters besuchen können. Es wäre schön, wenn wir uns auch künftig mit Events und Veranstaltungen gegenseitig unterstützen.

Fact File

Name: Francesco

Alter: 33

Beruf: Schauspieler / Tänzer

Hobbys: Fetischgear, Theater, Tanz, Städte besuchen, Lesen, Fernsehen, Zeichentrickfilme

Sternzeichen: Wassermann