BOX-Filmjournalist Martin Wolkner sprach mit dem österreichischen Regisseur Patric Chiha („Boys Like Us“), dessen Dokufilm letztes Jahr bei der Berlinale uraufgeführt wurde und gerade auf DVD erschien.
BOX: Sag doch kurz mit eigenen Worten, worum es geht.
Patric: Der Film folgt einer Bande von Burschen, bulgarischen Roma, die in Wien ihre Körper an ältere Herren verkaufen. Sie sind sehr jung, 18, 19.
Da ist ein Konflikt zwischen Gefangensein in einer Strichersituation, andererseits spürt man auch, wie frei sie sind. Plötzlich können sie jugendlicher sein, weit weg von Frau und Kindern. Der Film heißt „Brüder der Nacht“, weil die meisten Brüder oder Cousins oder mindestens Freunde sind.
BOX: Es besteht keine Scham unter Familienangehörigen?
Patric: Es gibt viele Brüder im Film. Der eine erklärt dem anderen, wie‘s läuft. Wichtig ist das Geld, was man macht. Was mich eher überrascht hat, war dieses Pädagogische: „Den musst du so reinlegen, das ist das Geld, was du verlangen musst, und sexuell musst du das und das machen.“ Der eine Bruder lehrt den anderen, wie man schwul ist.
BOX: Weißt du, wie sie leben?
Patric: Sie wohnen meistens zu zehnt in schrecklichen Wohnungen. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass sie ein Hotelsystem haben. Das sind ein paar Wohnungen in Wien und sie zahlen 5 Euro pro Nacht – was viel zu viel ist. Das wollten sie mir lange nicht zeigen, weil es eher die schreckliche Seite ist. Die Jungen in meinem Film können kaum lesen und schreiben. Sie sind ausgestoßen in Bulgarien. Wenn sie bereit sind, als Stricher zu arbeiten, dann weil es wirklich keine Möglichkeit gibt.
BOX: Glaubst du, sie kehren wieder nach Bulgarien zurück?
Patric: Ein paar sind sogar zurück. Das Ding ist: Dort müssen sie hart arbeiten und viele dieser Jungen sind doch faul. Sex ist hart mit Körpern, die man nicht begehrt. Andererseits ist es keine sehr schwere Arbeit. Ist die Kassiererin im Supermarkt freier als eine Prostituierte? Keine Ahnung. Sie verkauft ja auch ihren Körper irgendwo. Das ist eine komplizierte Frage.
BOX: Der Film wirkt anfangs wie ein Spielfilm, sehr inszeniert. In späteren Situationen kommt der Dokumentarcharakter zum Tragen.
Patric: Wenn du ihnen sagst: „Wir machen Kino“, dann muss es auch Kino sein. Kino ist Licht und Kostüm und verschiedene Einstellungen. Was machen wir zusammen? Spielen wir Kino. Gleichzeitig wusste ich, dass diese künstliche Welt eine Art Schutz ist. Sie spielen im Leben und sie dürfen im Film spielen.
Ich bin nicht die Polizei. Sie können lügen. Sie können wer anderes sein. Mir geht es überhaupt nicht um den Wahrheitsgehalt. Und ich glaube nicht, weil ein Film hässlich ist, dass er wirklicher ist. Wir sind‘s nur gewohnt vom Fernsehen. Sobald eine Kamera im Raum steht, ist alles falsch.
Es ist ein künstlicher Beruf, wir stellen künstlich etwas dar. Ich hoffe, über den künstlichen Weg zu einer Form von Wirklichkeit zu kommen. Das ist jetzt nicht Information, aber ein Gefühl für sie.