In unserer Kolumne schreibt Thorsten, Mr. Leather Europe 2015, über Erfahrungen und Begebenheiten der europäischen Leder- und Fetisch-Community. Ein Blick auf die Modegeschichte zeigt die Kunst und Lust zu gefallen, anzuziehen und mit besonderer Betonung aller Reize zu verführen. Welche modischen Einflüsse haben eigentlich die Leder-Fetischbekleidung geprägt?
Beim Tuntenball in Graz habe ich zu Lederchaps und Lederkorsett einen Frack sowie Zylinder im Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts getragen. Ein bewusster Stilbruch zum diesjährigen Motto des Balls: Night of the Stars. Zudem habe ich mich in Vorbereitung auf die Moderation des Konzerts FetishBaroque in Köln und dem Versuch, einen Konnex zwischen Fetischismus und der Kulturepoche zu schaffen, mit dem Kleidungsstil der damaligen Zeit auseinandergesetzt und mich daraufhin näher mit den aus der Geschichte entlehnten Modeinspirationen unseres heutigen Lederfetischismus beschäftigt.
Die erste Kleidung der Steinzeit bestand aus Tierfellen. In diese Zeit fällt der Beginn der Mode, wie wir sie heute kennen. Bekleidung war nicht mehr nur Schutz gegen die Unbilden der Witterung, sondern wies erstmals verschiedene Farben, Formen sowie Muster auf und wurde kombiniert mit Hüten, Gürtel und Knöpfen. Die Schutzkleidung der als Gladiatoren bekannten Berufskämpfer im antiken Rom zwischen 264 v. Chr. bis ins 5. Jahrhundert n. Chr. bestand hauptsächlich aus Leder. In der Arena trugen sie Lederriemen über ihre Brust, die als Vorbild für unseren heutigen Harness gesehen werden können.
Im 15. und 16. Jahrhundert kam die Schamkapsel bei Männern in Mode. Sie entstand aus dem Latz der damals aufkommenden engen Männerhose und erlaubte die nötige Bewegungsfreiheit. Die Schamkapseln (engl. Codpiece) wurden im Laufe der Zeit durch verschiedene Formen, Auspolsterungen und Farben immer auffälliger. Dieser Modetrend stellte eine direkte sexuelle Anspielung dar, ermöglichte er doch den Männern, ihren erotischen Reiz öffentlich zur Schau zu stellen und symbolisierte Potenz und sexuelle Bereitschaft. Auch heute finden wir Lederjeans mit im Schritt aufgesetzten und abnehmbaren Codpieces oder durch Steppungen und Schnitte betonte Lätze. Genauso sind Leder-Jockstraps an die damalige Schamkapsel angelehnt.
Um 1620 wurden Reitstiefel mit kniehohem Schaft modern. Sie sicherten Aufstieg sowie Halt auf dem Pferd und schützten vor Unwetter und Schmutz. Doch bereits Mitte des 17. Jahrhunderts wurden Schaftstiefel aus der höfischen Mode verbannt und nur noch zur Jagd und für das Militär geduldet. In den folgenden Jahrzehnten unterlag die Mode einem steten Wandel. Im frühen 19. Jahrhundert kam erstmals der Dandy auf, der elegant war, ohne aufzufallen. Er trug maßgeschneiderte Kleidung aus feinsten Stoffen mit makellosen Accessoires wie Halstuch oder Krawatte. Die Schnitte der damaligen Herrenmode waren eng und figurbetont, wodurch der Eindruck von Nacktheit entstand. Die Westen waren kurz und die Jacken vorne ausgeschnitten, um einen ungehinderten Blick auf den Schritt freizugeben.
Leder und Fetisch stehen häufig in direkter Verbindung mit Uniformen, bei denen der Sam-Browne-Gürtel als Accessoire verwendet wird. Dabei handelt es sich um einen breiten, ledernen Taillengürtel, von dem ein schmalerer Gurt ausgeht, der diagonal über die rechte Schulter führt. Erfunden wurde er vom britischen Offizier Sam Browne, der im 19. Jahrhundert in Indien tätig war. Damals hing das Schwert eines Soldaten an einem kleinen Metallclip links am Gürtel und musste mit der linken Hand in Position gebracht werden, um es mit der rechten Hand zu zücken. Als Browne bei einer Schlacht 1858 die linke Hand verlor, kam er auf die Idee, einen zusätzlichen Ledergurt über seine rechte Schulter zu tragen, der die Scheide seines Schwertes an der richtigen Stelle hielt. Andere Kavallerie-Offiziere in der indischen Armee taten es ihm nach und bald darauf wurde der Gürtel fixer Bestandteil der Standarduniform. Ebenfalls aus Indien stammen die uns bekannten Breeches, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts aus in Jodhpur getragenen Reithosen entwickelten. Die dort stationierten Briten übernahmen die an den Waden engen und an den Schenkeln ballonartig abstehenden Hosen für ihre in Indien stationierte Kavallerie. Breeches, auch Stiefelhosen genannt, waren zwischen 1910 und 1945 im Zivil- und Uniformbereich allgemein beliebt.
Nahezu perfekte Uniformen entwarfen und fertigten deutsche Schneider des Dritten Reiches. Enganliegende, taillierte Uniformjacken und Hemden, passgenaue Breeches und die glänzende Perfektion der kniehohen Schaftstiefel verliehen den Offizieren Macht und Dominanz. „Niemand machte solche Uniformen wie die Deutschen. Und erst die Stiefel!“, so Touko Laaksonen, auch bekannt als Tom of Finland, in einem Interview von 1991. Er war es, der dieses homoerotische Bild von Hypermaskulinität als Erster in seinen Zeichnungen verarbeitete. Laaksonen distanzierte sich allerdings von Nazis und Faschismus, seine Leidenschaft für Lederuniformen war völlig unpolitischer Natur.
In den 1950er Jahren verkörperte Marlon Brando im Film „Der Wilde“ einen Biker mit Lederjacke. Brandos Schirmmütze ähnelte den deutschen Offiziersmützen und wurde von vielen Motorradfahrern und Ex-Soldaten kopiert. Diese Art von Schirmmütze ist unter dem Namen Muir Cap nach der Firma in Toronto benannt, die seit 1875 Mützen produziert. Motorradfahrer steckten ihre engen Jeans in hohe Lederstiefel und so entwickelte sich eine Uniform, die noch männlicher wirkte als die der deutschen Offiziere, allerdings ohne deren moralischen Ballast.
All diese Elemente aus rund 2000 Jahren Modegeschichte haben wir Lederfetischisten uns heutzutage zu eigen gemacht, um unsere erotische Fantasie darzustellen. Den Kombinationsmöglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt, ob volle Lederuniform angelehnt an jahrhundertealter Militärgeschichte, Lederjeans mit Harness ähnlich den römischen Gladiatoren oder bewusster Stilbruch – jeder Fetischist hat eine mannigfache Vielfalt, um seiner sexuellen Identität einen individuellen Ausdruck zu verleihen.