Steven Quick, Mr. Leather UK 2018

Steven Quick, jetzt besser als Mr. Leather UK 2018 bekannt, gewann seinen Titel in London am 16. März 2018, indem er sich unter 5 Kandidaten durchsetzen konnte. Hier erzählt er Tyrone Rontganger und der BOX über seine aktuelle Rolle als Lederbotschafter, den sexuellen Missbrauch seiner Jugend und seine Vorliebe für Lederuniform.

BOX: Hi Steven. Wie war Gay Pride / CSD in London?
Steven: Eigentlich wie immer! Ein Riesenerfolg mit ca. 30.000 Menschen in dem Umzug und über eine Million Zuschauer auf den Straßen der Strecke entlang. Dieses Jahr war die Fetischcommunity außerdem besonders gut vertreten – wir hatten eine große Vielzahl von verschiedenen Fetisch-Vereinen und -Organisationen, die alle zusammen als eine riesige Fetischfußgruppe unterwegs waren. Die Atmosphäre war echt elektrisch! Die ganze LGBTQ-Community hat sich richtig feiern lassen.

BOX: Dort waren mehrere Fetischvereine zusammen unterwegs? Das Letzte, was ich von den Vereinen in Großbritannien gehört hatte, gab es endlose Streitigkeiten unter ihnen! Sind diese jetzt beigelegt?
Steven: Glücklicherweise scheint es, dass die britische Fetischszene aktuell eine Art Renaissance erlebt. Und das, obwohl in letzter Zeit viele Fetischbars dicht gemacht haben. Eine ganze Menge kleinere Vereine haben sich neulich überall im Vereinigten Königreich gegründet, damit auch Typen in Kleinstädten keine weiten Strecken mehr fahren müssen, um mit anderen Gleichgesinnten ihre Fetische genießen zu können. Diese neuen Vereine haben die Community aber gar nicht gespalten, sondern uns eher alle etwas stärker miteinander verbunden. Als der Leather-Botschafter in Großbritannien liegt es aber nicht an mir, zu spekulieren, was früher die einzelnen Clubs politisch motiviert und bewegt hat, oder ob sie sich noch bekriegen wollen oder nicht. Für mich zählt eher, dass egal wo ich hierzulande bisher unterwegs war, fühlte ich mich überall wohl und willkommen.

BOX: Es fällt mir jetzt gerade ein, dass ungefähr um die Zeit, als du deinen Titel an den nächsten weitergibst, wird Großbritannien die EU verlassen? Welche Unterschiede siehst du dann für die Zukunft der britischen Leather-Community?
Steven: Ehrlich gesagt – so blöd wie diese Brexit-Entscheidung auch ist – glaube ich nicht, dass sie einen großen Einfluss auf unsere Leather-Community haben wird. Geographisch gesehen bleibt Großbritannien Teil Europas und wir Leathermen sind hier persönlich alle stark miteinander verbunden. Egal, wo ich in Europa bisher war, die einzigen Probleme, die ich bisher erlebt habe, ging nur um den sehr schlechten Wechselkurs statt irgendwelche politische Entscheidungen! Aber klar, das Ganze macht uns alles nur noch teurer und daher schwieriger, andere europäische Länder zu bereisen. Mein Nachfolger wird daher sicherlich ein sehr gutes Reisebudget brauchen, um die internationalen Fetischevents besuchen zu können. Unsere europäische Community ist sonst stark genug, um keinen einfach verschwinden zu lassen und das wird sich bestimmt auch nicht ändern.

BOX: Warum wolltest du „Mr. Leather UK“ werden?
Steven: Meine Entscheidung, an der Wahl teilzunehmen, war einfach auf einer ganz persönlichen Herausforderung basiert: Ich hoffte dadurch mein Selbstbewusstsein und mein Selbstwertgefühl etwas zu stärken. Erst nachdem ich in den Wochen davor mit meinem Wahlkampf angefangen hatte, fiel es mir ein, dass viel mehr hinter der Mister-Rolle steckt, als ich bis dahin geglaubt hatte! Diese Erkenntnis zu der Zeit war für mich hoch motivierend sowohl als auch gleichzeitig etwas entmutigend. Ich merkte, dass ich mit dem möglichen Titelgewinn eine Plattform bekommen würde, um die Community, die mir als Ledermann so viel gegeben hat, zu unterstützen, zu fördern und zu vertreten, aber auch das brachte gewisse Ängste mit sich. Ich wollte mehr wissen und fing an, die Geschichte unserer Lederbruderschaft und -Communitys zu recherchieren, denn ich wollte wissen, was unsere Vorgänger alles früher erleben mussten, damit wir so heutzutage einigermaßen sicher und von der breiten Gesellschaft akzeptiert leben dürfen und unsere Fetische genießen können. Dabei merkte ich, dass ich vielleicht Anderen helfen könnte, denn jeder muss wissen, dass er nie allein ist. Ich wurde als Teenager sexuell missbraucht und kenne das Gefühl, ganz allein zu sein und keinem vertrauen zu können. Dies wurde meine Hauptantriebskraft. Das gab mir dann den letzten Schubs bei der Anmeldung zur Mister-Wahl.

BOX: Welche Auswirkungen haben diese neuen öffentlichen Pflichten auf deine Liebesbeziehung?
Steven: Mein Partner bestätigt mir immer wieder, wie stolz er auf mich ist. Er erkennt die gute Arbeit, die ich für die Community und meine Wohltätigkeitsprojekte dabei leiste. Da er die ganze Zeit Teil dieses Prozesses war, weiß er auch, wie viel Zeit und Energie mich dieser Titel kostet. Da er beruflich viel zu tun hat, kann er mich leider nicht auf jeder Reise begleiten, aber da wir eine sehr stabile Beziehung haben, freut er sich, wenn ich dabei neue Menschen kennenlerne und auch etwas von der Welt sehe und erlebe. Ich hoffe, wir werden noch gemeinsam reisen und manch einzigartigen Mr-Leather-Moment teilen können. Ach, und er scherzt immer wieder, er sieht besser aus als ich und daher kann ich nur vom Glück reden, dass er sich nicht zur gleichen Zeit an der Mister-Wahl teilgenommen hat!

BOX: Warum meinst du, hast du den Titel gewonnen? Was macht denn einen Mister Leather aus?
Steven: Nach meiner ganz persönlichen Meinung glaube ich, ein Mister Leather muss für seine Community nahbar und ansprechbar sein. Jeder in unserer Community hat das Recht, sich als Teil der Community zu fühlen und es gehört zu meiner Verantwortung als Mr. Leather UK, zu gucken, dass dies auch der Fall ist. Wenn man andere Menschen in der Community vertritt, muss man auch engagiert und gut vorbereitet sein – natürlich muss ein Mister mal in der Öffentlichkeit reden oder Fragen von fremden Menschen beantworten, und dafür muss man sich schon die Zeit nehmen, sich im Voraus etwas darauf vorzubereiten. Ich sehe mich als eine Art Botschafter und daher ist es wichtig, dass ich meine Mister-Pflichten mit Gefühl und Professionalität erfülle. Jeder Fetisch-Titelträger macht es bestimmt auf seine eigene Art und Weise, besonders wegen der kulturellen Unterschiede von Land zu Land, aber im Endeffekt haben wir alle dieselbe Rolle: Unsere Communitys zu stärken und schützen.

BOX: Du hast vorhin sexuellen Missbrauch erwähnt, aber meine Erfahrung mit der Lederszene ist, dass die meisten Lederkerle „richtige Männer“ sind – unverletzlich, stark und niemals Opfer! Wo passt das alles zusammen?
Steven: Ich bin da ganz anderer Meinung, Tyrone! Obwohl es stimmt, dass wir nahezu alle in der Öffentlichkeit versuchen, die beste Version von uns darzustellen, glaube ich nicht, dass alle Ledermänner „richtige Männer“ sein wollen. Genau deswegen will ich über meine Missbrauchserfahrung reden. Mir ist es egal, ob Andere deswegen denken, ich bin schwach und verletzlich! Wichtig ist nur, dass Menschen, die Missbrauch erlebt haben, professionelle Hilfe und Beratung suchen. Derer Auswirkungen können schon sehr extrem sein. Ein Vorteil des schwulen Lebens ist, dass wir als Männer offen über unsere Gefühle reden dürfen und wir verstehen daher, wie wichtig ist es, sexuelle und geistige Gesundheit offen miteinander zu besprechen. Das ist keine Schwäche – das nennt sich eher Verantwortung! Ich fühle mich privilegiert, eine große Menge an Unterstützung und Ermutigung aus der Fetisch-Community erhalten zu haben. Ohne die Freundschaften, die ich in der Community geschlossen habe, hätte ich wahrscheinlich nie die Kraft gefunden, über meine Erfahrungen offen zu reden. Daher unterstütze ich als Mister die Hilfsorganisation Survivors UK. *

 

BOX: Wie ist denn die Resonanz in der Leather Community, wenn du öffentlich über deinen Missbrauch redest?
Steven: Ganz ehrlich, ich hatte nie damit gerechnet, dass mir andere Typen ihre eigenen, ähnlichen Geschichten erzählen würden. Daher hat es mich richtig überrascht, als dann wildfremde Menschen mit mir über ihren eigenen sexuellen Missbrauchsgeschichten und Gewalt und, ja sogar Vergewaltigungen, sprechen wollten. Offenbar ist sowas viel, viel weitverbreiteter als man denkt! Manche von ihnen hatten sich schon psychologisch beraten lassen, andere wollten nur endlich überhaupt mit jemandem darüber reden können. Viele wussten nicht, dass es sogar Hilfsorganisationen gibt, wie „Survivors UK“ für Überlebende von sexueller Gewalt, und ich bin sehr stolz, dass ich sie mit dieser Stelle bekanntmachen konnte. Ich bin selber kein Psychotherapeut und kann daher eigentlich niemandem offiziell helfen, aber ich höre gern ihren Geschichten zu und hoffe, dass alle Menschen, die sowas erlebt haben – auch in Deutschland – die professionelle Hilfe von derartigen Wohltätigkeitsorganisationen in Anspruch nehmen. *Infos unter www.survivorsuk.org.

BOX: Was für Auswirkungen hatte diese Missbrauchserfahrung auf deine Sexualität?
Steven: Schon ganz früh war ich wegen meiner Sexualität sehr unsicher. Wie viele junge Menschen – besonders bei schwulen Teenagern -, musste ich damit klarkommen, dass ich anders tickte als die Meisten. Der Missbrauch für sich hatte keine großen Auswirkungen auf meine Sexualität, sondern eher nur auf mein Selbstbewusstsein beim Sex. Es war mir sehr lange Zeit echt schwierig, meine eigenen sexuellen Bedürfnisse gegenüber meinen Sexpartnern zu erörtern. Jetzt bin ich endlich an dem Punkt in meinem Leben, wo ich glaube, ich bin auch privat dieselbe Person als diejenige, die ich Anderen ausstrahlen will. Wie man sagt, die Zeit heilt alle Wunden!

BOX: Trotzdem erleben viele Männer in unserer Community immer noch als Erwachsene sexuelle Gewalt. Sie kennen sich mit BDSM nicht richtig aus und versuchen, mit dem „falschen Typen“ etwas Neues auszuprobieren, oder nehmen vielleicht zu viel Drogen und Alkohol und sind dann nicht mehr Herr über den eigenen Körper und Geist. Liegt es in unserer Verantwortung als Community, diese meisten jungen Männer zu beschützen?
Steven: Du, ich bin nicht qualifiziert, überhaupt eine Meinung hierzu zu äußern! Ich höre den Geschichten von anderen Menschen gerne zu, gebe ihnen aber nie einen Rat, außer ihnen zu sagen, sie sollen professionelle Hilfe suchen. Aus meiner eigenen Erfahrung finde ich es aber schon wichtig, besonders jungen Männern in unserer Community ein paar einfache Tipps zu geben: Wenn du jemanden nach einem Online-Date zum ersten Mal live triffst, finde im Voraus so viel du kannst über ihn heraus. Das ist mittlerweile mit den sozialen Medien ziemlich leicht. Sag deinen Freunden, wo du hingehst und halte wenn möglich ein wenig Kontakt mit ihnen, auch wenn du schon dort angekommen bist. Man kann auch vorher im Online-Chat alles absprechen; hier sollst du ganz deutlich ausdrücken, was du willst und was nicht! Und man soll nie Angst haben, „Nein!“ oder „Stopp!“ zu sagen, wenn etwas nicht passt – egal, was es ist! Natürlich ist es anders, wenn man etwas getrunken hat oder Drogen genommen hat, aber wenn du diese Gedanken einfach im Hinterkopf behältst, sind sie auch noch da, wenn du vielleicht nicht so normal denken kannst. Wenn du unsicher bist, ob du dir vielleicht etwas eingeholt hast, geh gleich am nächsten Morgen zum Facharzt und lass dich auf alles testen. Und wenn du glaubst, du bist doch vergewaltigt oder missbraucht worden, sollst du die Polizei kontaktieren. Unsere Community kann keinen erwachsenen Mann vor sich selbst schützen, aber wir haben schon als Freunde, Brüder und Kollegen die Verantwortung füreinander, uns gegenseitig in derartigen Situationen zu unterstützen, besonders wenn es um Sex unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol geht.

BOX: Jetzt etwas ganz anders: Was ist dein Lieblingskleidungsstück aus Leder?
Steven: Ohne Zweifel meine Lederuniform! Hemd, Krawatte, Schirmmütze, Stulphandschuhe, Langlitz-Columbia-Jacke (mit Pelzkragen, wenn das Wetter schlecht ist), Langlitz-Ranger-Hose und meine langen Derby-Stiefel. Für mich persönlich ist das der klassische Look für einen Lederkerl und jedes Mal, wenn ich so aussehe, habe ich das geile Gefühl, alles als Ledermann erreicht zu haben! Wenn ich vom Kopf bis Fuß in Leder angezogen bin, fühle ich mich immer komplett anders als normal.

BOX: Schön, wenn man sich das alles leisten kann!
Steven: Ich hatte hier ein Kommentar von dir erwartet und es stimmt auch, was du da sagst! Ich würde es nie einem empfehlen, sich die teuersten Ledersachen zu kaufen, besonders wenn es dazu führt, dass man dadurch sogar Schulden macht! Es gibt keinen “Ratgeber Ledermann”, wo drinsteht, dass man nur gewisse Ledersachen tragen muss, um eine Leder-Bar betreten zu dürfen! Ich habe jahrelang auf mein Outfit sparen müssen, und bis dahin hatte ich nur Lederklamotten, die mir geschenkt wurden oder die ich gebraucht gekauft hatte. Damals war es mir nicht wichtig, welche Marke ich trug, sondern nur, dass ich überhaupt Leder trug! Ich habe dann selber viele Sachen verkauft, um das Geld für meine Langlitz-Uniform zurücklegen zu können. Wer neu in der Lederszene ist, soll sich am Anfang auf ebay und Amazon umschauen. Ansonsten gibt es in Asien viele Leder-Designer, die ihre Sachen ganz viel günstiger verkaufen, als was wir hier in Europa bezahlen. Sonst kann man in der Community einfach herumfragen – es gibt immer wieder Typen, die ihre Sachen nicht mehr tragen können oder wollen, und jeder Verein organisiert ab und zu mal einen Fetisch-Flohmarkt. Im Endeffekt soll jeder Ledertyp genau das anziehen, was ihm am Bequemsten und am Geilsten ist. Ein Label definiert keinen!

BOX: Danke, Steven, für das Interview. Hast du eine Botschaft aus Großbritannien für die deutschsprachige Leather-Community?
Steven: Klar! Ich möchte gleich meinen Dank dafür ausdrücken, dass ich mich auf den Events in Deutschland jedes Mal wohl fühle. Ich fahre jedes Jahr seit zehn Jahren nach Folsom-Europe – eine Art Lederpilgerfahrt für mich! Ich war auch öfters in Köln und auch hatte im Frühling eine unvergessliche Zeit in Wien beim Vienna Fetish Spring. Immer wenn ich in Berlin bin, fühle ich mich wie zuhause. Mir gefällt es sehr, wie frei man dort sein kann, sich als Mensch auszudrücken. Ich laufe sehr gern in voller Lederkluft durch Schöneberg! Es scheint, ob wie sich die Fetischszene dort symbiotisch mit der größeren Gemeinschaft einfügt, und darauf kann man schon unglaublich stolz sein. Ich möchte mich bei euch allen bedanken, dass ihr dem Rest der Welt immer wieder zeigt, wie lebendig die Fetischcommunity ist. Ich freue mich wieder auf Folsom Europe 2018!

Fact File

Name: Steven Quick
Alter: 40
Beruf: Inhaber eines Gartenbaubetriebs
Hobbys: Gartengestaltung und Inneneinrichtung, Klavier spielen und singen, Kylie Minogue und Kate Bush hören, Netflix gucken
Sternzeichen: Fisch

Die Fotos zu diesem Artikel stammen von: Steven Quick & Matt Spike