Leder, süss-sauer

Palm Springs ist ein Hotspot für alle, die Kaliforniens Sonne pur, FKK-Resorts und ganz viele Schwule auf engem Raum mögen. Für Leder-, Fetisch- und Halloween-Freunde ist der Zeitraum Ende Oktober, Anfang November ein absolutes Muss. Dann schwitzt sogar der Harness.

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Dass es Ende Oktober noch einmal so warm ist, überrascht dann doch. Immerhin 23 Grad zeigt das Thermometer um Mitternacht an. Jerry und Michael sind schon mächtig ins Schwitzen geraten. Die Lederhosen der beiden Mittfünfziger sitzen aber auch ziemlich eng, Michaels Harness steht dem in nichts nach. Dazu: Schwere Boots, die unsereins früher bei der Bundeswehr trug. Angemessen gekleidet sind sie hier, keine Frage, denn heute Abend steigt die große Open-Air-Party auf dem Parkplatz der Leder- und Bärenbar „Tool Shed“. Ja, richtig gelesen, auf dem Parkplatz. Eingeladen haben die Macher des Palm Springs Leather Pride Festivals. Ein Event, das jährlich mit großem Tamtam Ende Oktober – und damit kurz vor dem CSD – in der Stadt gefeiert wird.

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Der Parkplatz ist nun proppenvoll mit Gästen in Leder- und Army-Style, an Verkaufsständen wird das übliche SM-Geschirr verkauft, einige Selbsthilfeorganisationen bieten ihre Hilfe an und buhlen um die Mitgliedschaft der Besucher. Wer hungrig ist, kann sich einen Burger mit BBQ und ganz viel Ketchup gönnen. Aber Jerry und Michael ist weder der Sinn nach Cockring-Shopping noch nach Beratung von den Schwestern der Perpetuellen Indulgenz & Co: „Wir lassen es einfach dieses Wochenende krachen“, verrät Jerry mit einem Augenzwinkern. Von Los Angeles sind sie am Donnerstag mit dem Auto heruntergedüst, rund zweieinhalb Stunden waren sie unterwegs. Drei Nächte bleiben sie, um alte Bekannte und neue Freunde kennenzulernen. Schlafen tun sie im angesagten „Santiago Resort“, nur 10 Minuten zu Fuß vom „Tool Sheed“ entfernt. Dass auch Gäste aus Europa auf der Parkplatz-Party zugegen sind, damit haben sie nicht gerechnet: „Oh, really?“, fragen sie verdattert, bevor sie zur Bar schreiten und dem Gast aus Germany erst einmal eine Runde Bier ausgeben …  Prösterchen!

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2015 lud Palm Springs erstmals zeitgleich zum Palm Springs Leather Pride und zu Halloween ein. Böse Zungen mögen nun behaupten, die beiden Events passten ja zusammen wie die Faust aufs Auge, aber die Premiere 2015 scheint alle Kritiker mundtot gemacht zu haben: Die Resorts waren prall mit Touristen gefüllt und in den Schwulenbars fühlte es sich so an wie Rosenmontag in einer Bar auf der Schaafenstraße in Köln. Am Halloween-Abend jedenfalls ließen sich die Schwulen auf der Ausgehmeile Arena Road nicht lange bitten: Jeder zweite Besucher schmiss sich in ein Kostüm, manchmal äußerst sexy, manchmal eher „Oh my god“ – in jedem Fall aber süß und sauer. Die Halloween-Organisatoren hatten die Straße bei der Stadt gesperrt und eine kleine Bühne aufgebaut, auf der schräge Drag Queens zum Contest gegeneinander antraten. Wer das nötige Taschengeld hatte und sich das Ganze sehr schön trinken wollte, konnte sich gegenüber der Bühne im VIP-Bereich eine All-inclusive-Versorgung mit Hochprozentigem sichern. Anschließend ging es in den Bars und Clubs weiter, bis spät in die Nacht. Jedenfalls, so flüsterten es die Läster-Spatzen am nächsten Morgen von den Dächern, hörte man so einige Drag Queen und den einen und anderen Wannabe am frühen Morgen noch der Sonne ein „I am what I am“ entgegenträllern …

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Apropos Sonne: Die Stadt ist gesegnet in puncto Wetter. An 350 Tagen im Jahr knallt hier die Sonne vom Himmel; kälter als 20 Grad wird es nur selten, 40 Grad im Sommer dagegen ziemlich oft. Während man anderenorts also, in Deutschland zumal, mit dicker Jacke zur Halloween-Party saust, ist in Palm Springs auch Ende Oktober noch „mach‘ dich ruhig ein bisschen nackig“ angesagt.

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Dazu muss man wissen: Hier geht einiges, als Schwuler sowieso. Palm Springs erlebte in den vergangenen 25 Jahren einen kometenhaften Aufstieg innerhalb der amerikanischen Lesben- und Schwulenszene. Vorsichtige Schätzungen gehen mittlerweile davon aus, dass rund 40 bis 50 Prozent der Einwohner der Stadt schwul oder lesbisch sind. Das ist Rekord in den USA, selbst San Francisco, wo vielleicht ein Viertel homo ist, kann da nicht mehr mithalten. In Palm Springs ist einiges anders als im Rest des Landes – schwuler eben.

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Davon kann vor allem Bob Gross ein Lied singen. Der vollbärtige Fremdenführer bietet seit dem Herbst 2013 die „Gay Icons Tour“ an. Was darf‘s denn sein? Eine Tour durch Warm Sands, dem Viertel, in dem rund ein Dutzend der insgesamt 30 Schwulenresorts beheimatet sind? Kein Problem! Bob steuert seinen Wagen durchs Viertel und erzählt Anekdoten, die garantiert kein offizieller Vertreter der Stadt zum Besten geben würde – welches Resort besonders sündig ist, ob und wann nachts gecruist wird und warum man Grindr guten Gewissens ausgeschaltet lassen kann. Auch ein Schlenker zur Arena Road, der Motzstraße Palm Springs, darf nicht fehlen. Dort sind die meisten der Schwulenbars zu Hause. Tagsüber geht es hier gemächlich zu, aber abends, selbst unter der Woche, geht man hier gern verloren, sagt Bob. Den vielen Gay-Touristen sei Dank …

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Dass viele Schwule ein Faible für (ehemalige) Hollywood-Größen haben, kommt Bob zupass. Einem breiten Publikum wurde Palm Springs bereits in den 30er Jahren als Refugium ruhebedürftiger Hollywood-Stars bekannt. Die Klatsch- und Tratschspalten der sensationslüsternen Gazetten des Landes waren voll mit Storys über die Celebrities und ihre Aufenthalte in Palm Springs. Die Hochzeit der Prominenten-Invasion währte über vierzig Jahre. Greta Garbo, Cary Grant, Steve McQueen, Cher, Kirk Douglas, Elvis Presley, Frank Sinatra und Dean Martin – sie alle bedachten Palm Springs mit ihrer ständigen – oder jedenfalls vorübergehenden – Anwesenheit. Viele Straßen, Boulevards und Stadtgebäude tragen noch heute die Namen von berühmten Einwohnern – wie zum Beispiel der Frank-Sinatra- oder Dinah-Shore-Weg, der Gene Autry-Pfad oder das Bob Hope-Kulturzentrum. Nicht wenige meinen, die Stadt zehre noch heute von ihrer ruhmreichen Promi-Vergangenheit. Und so präsentiert Bob natürlich auch die Ex-Häuser der Stars. Das ehemalige Haus von Marilyn Monroe? Oder das heimliche Liebesdomizil von Elvis und Priscilla Presley? Oder doch eher das Luxusrefugium von Cary Grant? Frag Bob, der weiß das.

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Bobs Touren dürften für viele schwule Touristen eine willkommene Abwechslung zum gemächlich dahin plätschernden Leben in der Stadt sein. Sollte man denken. Dass viele schwule Touristen aber durchaus anderes während ihres Aufenthaltes im Sinn haben, wissen viele Einheimische nur zu gut zu berichten. Viele Besucher, so ist immer wieder zu hören, dösen den ganzen Tag in den Resorts am Pool in der Sonne, planschen mit anderen Gays im Pool und haben nichts anderes im Kopf als zu relaxen und zu flirten. Die Auswahl der Unterkünfte ist riesig: Mittlerweile buhlen mehr als 30 Gästehäuser, die sich ausdrücklich an schwule Männer richten, um die Gunst der Gay-Traveller. Die meisten Unterkünfte bewegen sich im 3- bis 4-Sterne-Segment und haben je nach Größe fünf bis 20 Zimmer im Angebot.

Die Resorts lassen sich in amüsante Kategorien aufteilen. Zum einen „Non Clothing Optional“ und „Clothing Optional“. Das heißt, in einigen Unterkünften ist das nackte Sonnenbaden am Pool erlaubt, in anderen nicht. Und dann gibt es noch einen weiteren Unterschied, der viel über den Charakter eines Gästehauses aussagen: „Day Passes“ or „No Day Passes“. Das heißt, jedes Resort hat seine eigene Politik gegenüber Tagesbesuchern. Die einen heißen sie herzlich willkommen, bringen sie doch täglich neues „Frischfleisch“ in die Resorts, die anderen lehnen sie strikt ab – überraschenderweise die überwiegende Mehrheit. Das soll aber nicht heißen, dass die übrigen Resorts ein Hort der Prüderie sind. Ganz im Gegenteil, wer auf der Suche nach einem Abenteuer oder sogar der Liebe seines Lebens ist, hat gute Chancen, jemanden kennenzulernen. Sogar dann, wenn Leather Pride und Halloween aufeinandertreffen.

Anreise: Die Fluggesellschaft United Airlines fliegt täglich von Frankfurt und München nach San Francisco, von dort geht es binnen 60 Minuten weiter nach Palm Springs, Ende Oktober für rund 900 Euro. Tipp: Lieber ein paar Euro mehr zahlen und sich einen Flug in der Economy Plus gönnen, www.united.com.

Unterkunft: Santiago Resort, 650 E San Lorenzo Rd, Palm Springs, CA 92264, gepflegtes Schwulenresort, großer Swimmingpool, professionelles und freundliches Management, rund 20 Minuten zu Fuß vom Schwulenviertel entfernt, Preis Ende Oktober ab rund 190 US-Dollar die Nacht fürs Zimmer. Infos und Buchung auf http://santiagoresort.com.

Infos: Der Palm Springs Leather Pride 2016 findet vom 27. bis 30. Oktober statt, www.desertleatherpride.com. Viele Informationen über das touristische Angebot der Stadt findet man auf www.visitpalmsprings.com. (fs)