Jens Walker, Mr. Leather Berlin 2018

Jens Walker ist Mr. Leather Berlin 2018. Hier spricht er mit Tyrone Rontganger über sein Jahr als Titelträger und Vertreter der Berliner Leathercommunity.

BOX: Ich habe im Easter Berlin Programmheft eine Zusammenfassung deines Titeljahres gelesen: 108,322 km, 27 Reisen, 52 Flüge, 205 Stunden Flugzeit und 59 Partys. Wie hast du das alles hingekriegt? Fangen wir mit bitte mit den Kosten an!
Jens: Am meisten hat es mich viele Nerven gekostet! Sonst bin ich immer so gut wie möglich günstig gereist, in dem ich mir nur die billigsten Flüge ausgesucht habe. Ich habe bei Freunden auf dem Sofa verbracht oder Hotelzimmer mit anderen Titelträgern geteilt. Trotzdem hat mich das Titeljahr einiges an Geld gekostet. Zum Glück hatte ich bei der Wahl vom Mister B Berlin 3.000€ Sponsoring gewonnen – obwohl es im Vergleich zu den Gesamtkosten eigentlich nur einen kleinen Betrag ausmacht, hat es mir schon viel geholfen.

BOX: Und wie hast du das viele Reisen mit dem Job ausgeglichen?
Jens: Tja, die Zusammenfassung hatte ich vor ca. 6 Wochen geschrieben und die echten Zahlen haben sich natürlich seitdem noch erhöht. Ich habe das Glück, einen Job zu haben, der nicht nur sehr gut zahlt, sondern es mir auch ermöglicht, Montags bis Donnerstags 12 bis 14 Stunden zu arbeiten und mit den angesammelten Überstunden dann flexibel meine Zeit einzuteilen. Es war natürlich nicht einfach, so viele Überstunden zu machen, aber dadurch konnte ich mir dann freitags freinehmen und zu den Fetischveranstaltungen in Deutschland und der Welt reisen. Auch wenn es sich jetzt etwas langweilig anhört, habe ich mich über jedes Wochenende gefreut, an dem ich einfach mal faul zu Hause mit meinem Freund auf dem Sofa herumliegen konnte.

BOX: Belasten so viele Fetischreisen eine Beziehung nicht?
Jens: Natürlich leidet eine Beziehung darunter, wenn ein Partner jede Woche woanders unterwegs ist – aber eine gute Beziehung hält auch sowas aus. Mein Freund José hat es gleich von Anfang an verstanden, dass die Reisen zu den Mister-Pflichten gehören und hat immer Verständnis dafür gehabt, wenn wir mal ein Wochenende nicht zusammen verbracht haben. Wo ich konnte, habe ich ihn auch mitgenommen, aber er hat halt andere Arbeitszeiten und -Verpflichtungen als ich und daher war das nicht immer möglich. Seit Dezember ist José selber Mr. Leather Spain, was alles natürlich vieles einfacher macht.

BOX: Dein Freund hat jetzt auch den Titel „Mr. Leather Spain“! Hast du irgendwas damit zu tun gehabt?
Jens: (lacht) Ehrlich gesagt, mit seiner Entscheidung, an der Wahl teilzunehmen, hatte er mich richtig überrascht! Ich hatte es wirklich nicht erwartet, besonders weil es ihm durch die Beziehung mit mir bereits ganz klar war, dass ein Mistertitel kein Spaziergang ist! Er wusste genau, wie zeit- und kostenintensiv das Ganze sein kann. Trotzdem habe ich sein Vorhaben begrüßt, weil wir die gleiche Motivation teilen – unsere Ledercommunity weiter vorwärts zu bringen! Denn irgendwer muss immer den ersten Schritt dafür machen. Es war seine Entscheidung, bei der Wahl mitzumachen und seine eigene Persönlichkeit, die seine Wahl gewann.

BOX: Wie ist es denn in einer Titelträgerliebesbeziehung?
Jens: Willst du damit wissen, ob wir in Konkurrenz miteinander stehen? Natürlich will jeder mal das Prinzesschen sein, aber nein, das tun wir nicht (lacht)! Wir unterstützen uns gegenseitig in unseren Rollen, sowohl offiziell und privat. Und hin und wieder müssen wir natürlich die Frage beantworten, ob unsere Kinder denn mit Schärpe zur Welt kommen würden. Die Antwort auf diese Frage überlasse ich jetzt mal jedem selbst.

BOX: Gibt es von deinem Titeljahr einen besonderen Moment, den du nie vergessen wirst?
Jens: So gefragt, gibt es schon ein paar Momente, die ich nie vergessen möchte. Der erste unvergessliche Augenblick ist natürlich der Moment, in dem ich den Titel zu Ostern gewonnen habe. In dem Moment weiß man noch gar nicht, was auf einen zu kommt – aber man ist sich sicher, dass es ein unvergleichliches Jahr wird. Auch meine erste Reise in die USA als Titelträger war unglaublich, denn die Fetischszene dort funktioniert völlig anders als hier in Europa. Und dann gab es da noch meine Reise nach Brasilien zur Gründung des ersten Lederclubs in Südamerika – es war einfach beeindruckend zu sehen, was Menschen auch in kürzester Zeit erreichen können, wenn sie zusammenarbeiten. Einfach jeder Moment, in dem ich die Chance hatte, mit neuen, anderen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen zu kommen, war etwas Besonderes für mich. Die Ansichten anderer Menschen zu hören und zu sehen, wie mit dem Thema Fetisch in anderen Ländern umgegangen wird, erweitert den Horizont ungemein. Ich habe mich in meiner Schärpe auf der Straße in verschiedenen Ländern mit vielen anderen Menschen ausgetauscht und vielleicht bei dem einen oder anderen die Horizonte erweitern und mit Vorurteilen aufräumen können.

BOX: Und gibt es irgendwas, was du lieber vergessen möchtest?
JJens: Nein, nicht wirklich. Natürlich, wenn man in der Öffentlichkeit steht, kriegt man schon viel ab. Egal was man tut, man kann es nie allen recht machen. Hin und wieder bekommt man dann auch mal Hass Mails. Ich biete dann jedem an, sich mit mir persönlich darüber zu unterhalten – immerhin bin ich ja offen für jede Hilfe und Verbesserungsvorschläge. Wichtig ist mir in meiner Botschaft aber zu zeigen: Wir sind alle nur Menschen, niemand ist perfekt – und wir sollten niemals vergessen, dass auf der anderen Seite des Smartphone Bildschirms eben auch ein echter Mensch mit Gefühlen und seinen eigenen Problemen sitzt. In einigen Fällen konnte ich so auch ein paar Menschen davon überzeugen, sich nach solchen Postings zu entschuldigen. Daher würde ich schon sagen, dass ich nur positive Erfahrungen gemacht habe.

BOX: Hast du in deinem Titeljahr alles geschafft, was du vorhattest?
Jens: Als ich den Titel gewann, hatte ich ein großes Ziel vor Augen: Für mehr Toleranz und Akzeptanz innerhalb der Community zu werben. Dabei war mir natürlich klar, dass ich das nicht allein schaffen kann – es liegt an uns allen, einen kleinen Beitrag zu leisten! Konstant habe ich versucht, dafür zu werben, einander zu zuhören und unsere Unterschiede als Stärke zu sehen.
Ein weiteres Projekt von mir ist, die Informationslage um die Fetischwelt mit einer Reise-App zu verbessern. Ich möchte eine Homepage bauen, wo ein Reisender alles finden kann, was er zu einem Fetischbesuch in einer fremden Stadt braucht. Ich weiß genau, wie es ist, wenn man irgendwo für ein Fetischwochenende hinfährt und keine Ahnung hat, was, wo, wann alles dort in Angebot ist. Deswegen arbeite ich an einen digitalen Reiseführer für Fetischkerle, -Frauen und Puppys. Es steckt alles noch in Kinderschuhen, wird aber noch weiter aufgebaut. Ich wurde überall mit offenen Armen willkommen geheißen und ich würde mich freuen, wenn auch andere dieses Gefühl teilen können.

BOX: Wieviel Unterstützung hast du von der Community bekommen?
Jens: Der BLF/Easter Berlin war immer für mich mit einem offenen Ohr da. Besonders Tommy, der Vorstandsvorsitzende, war sehr hilfsbereit. Ich bedanke mich auch bei MrB Berlin für das Sponsoring und das Lederoutfit. Die europäischen und deutschen Vereine waren bei den Reisen auch sehr hilfsbereit. Und nicht zu vergessen ist natürlich auch der Zusammenhalt mit anderen Titelträgern. Wann immer ich Hilfe gebraucht habe – jemand war da.

BOX: Ab Sonntag 21. April ist es für dich als Mister vorbei. Oder?
JJens: Schon so bald? Ein Jahr ist unheimlich kurz! Auf der einen Seite würde ich gern weiter machen, denn ich habe mich mittlerweile an die Rolle gewöhnt. Mir wird der Zusammenhalt unter den Titelträgern fehlen. Gleichzeitig sehe ich, wie meine Jahrgang-Titelträgerfreunde alle einer nach dem anderen ihre Titel weitergeben. Ich finde daher schon, dass die Zeit jetzt gekommen ist, es einem anderen zu überlassen. Am 21. April gebe ich den Titel meinem Nachfolger weiter, aber eine Aufgabe bleibt mir noch offen: Ich werde beim International Mr. Leather in Chicago teilnehmen. Ich war dort schon letztes Jahr als Zuschauer zu Gast und möchte dort dieses Jahr Berlin mit den Erfahrungen, die ich in den letzten 12 Monaten gesammelt habe, vertreten.

BOX: Möchtest du den IML-Titel gewinnen?
Jens: Ich glaube, jeder Teilnehmer würde gerne diesen Titel gewinnen! Aber mir geht es nicht um den großen Sieg, sondern eher um die Teilnahme. Ich kann es kaum erwarten, die anderen Teilnehmer kennenzulernen und mit ihnen eine unvergessliche Woche zu verbringen! Es kommen zum IML alle Fetisch-Titelträger der Welt zusammen, um einen Anführer zu wählen. Auch wenn ich mich kaum mit Ralph Bruneau (IML 2017) oder James Lee (IML 2018) vergleichen kann, werde ich versuchen, das bunte und weltoffene Berlin zu vertreten, dass ich so sehr liebe.

BOX: Wirst du sonst nach deinem Titeljahr von der Bildfläche verschwinden?
Jens: Ich bin froh, dass dieses anstrengende Jahr fast vorbei ist und ich freue mich vorerst auf ein paar ruhige Tage. Ich werde mir etwas Zeit nehmen, um frische Energie zu tanken und mich in andere Fetisch-Aufgaben zu stürzen. Ich möchte z.B. aktiver beim BLF/Easter Berlin werden und mich damit beschäftigen, wie man die Leder Szene zu einem offeneren und willkommenderen Ort machen kann.

BOX: Hat dich dein Titeljahr verändert?
Jens: Ganz eindeutig! Ich würde sagen, ich bin um ca. 10 Jahre gealtert, aber eben auch im positiven Sinne! Ich bin definitiv offener und neugieriger geworden. Früher habe ich alles immer zu Tode diskutieren müssen, nach Konsens gestrebt. Mittlerweile begreife ich, dass man nicht immer einer Meinung sein muss. Es ist okay, eine andere Sichtweise als dein Gegenüber zu haben und die auch trotz einer Auseinandersetzung zu behalten. Alles, was dabei zählt, ist die konstruktive Zusammenarbeit. Ich habe in meinem Titeljahr gelernt, wie wichtig es ist, sich gegenseitig zu zuhören.

BOX: Was muss ein Mr. Leather Berlin mitbringen und was erwartest du von deinem Nachfolger?
Jens: Berlin ist offen, Berlin ist bunt und vielfältig. Und genau das wünsche ich mir vom nächsten Titelträger und meinem Nachfolger. Absolut jeder auf der Welt hat von der Berliner Szene gehört, egal wohin du reist! Er vertritt daher eine weltbekannte Stadt mit einer großen Community und einer bunten, internationalen und diversen Fetischkultur. Daher freue ich mich, wenn der nächste Mister seine eigenen Wege beschreitet und auf seine eigene Weise ein Vorbild für die nächste Generation der Fetischkerle ist.

BOX: Wenn du ihm die Schärpe übergibst, was möchtest du ihm dabei ins Ohr flüstern?
Jens: „Jetzt ist zu spät zum Weglaufen!“ (lacht) Ich wünsche ihm mindestens genau so viel Spaß und ein lebensveränderndes Jahr, wie ich es hatte. Er sollte sich überlegen, wie er seine Zeit und Prioritäten verplanen möchte will, denn es gibt immer etwas zu tun und so ein Jahr ist schneller vorbei, als man denkt. Mir wurde direkt nach meiner Wahl gesagt, es würde das beste und schlimmste Jahr meines Lebens vor mir liegen – und genau das ist eingetroffen. Und diese Erfahrung wird ein Leben lang anhalten. B

OX: Hast du eine Botschaft für Berlins Ledercommunity?
Jens: Ich glaube, es wird immer wichtiger, einander zuzuhören, damit wir weitere Grundlagen für die Zusammenarbeit und den Zusammenhalt finden können. Politische Entwicklungen weltweit sind in den letzten Jahren nicht gerade positiv. Wir hatten in Berlin das Glück, dass wir uns als Schwule mehrere Jahre keine Sorgen machen mussten – aber wir müssen auch daran denken, dass LGBTIQ-Rechte eben keine Selbstverständlichkeit sind, weder hier noch anderswo. Dabei müssen wir immer offen für Neues bleiben und tun, was wir können, um die Jüngeren innerhalb der Community zu aktivieren, ohne die Älteren zu vergessen. Und all das schaffen wir eben nur, wenn wir zusammen arbeiten statt gegeneinander.
Wir haben in Europa und der Welt eine riesige Fetischcommunity mit einem gigantischen Netzwerk zur Verfügung und dürfen daher nicht nur lokal denken, sondern über die Stadtgrenzen hinweg. Fetisch und Leder ist am Ende doch politischer als man denkt. Gleichberechtigung erreichen wir nicht durch uneingeschränkte Anpassung, sondern nur, indem wir zeigen, wer wir sind und zusammen unsere Rechte einfordern. Also raus auf die Straße mit dem Fetisch – jetzt heißt es Gesicht zeigen und die Zukunft zu gestalten, die wir uns wünschen.

Name: Jens Walker
Beruf: Geschäftsführer einer Softwarentwicklungsfirma
Alter: 29 Jahre
Hobbys: Computer, Technik und IT, Kochen, Motorradfahren, Klavier
Sternzeichen: Krebs