Film: Stonewall

Wer wirft den ersten Stein? Emerichs Film „Stonewall“

In den USA hat ja der schwule Regisseur Roland Emmerich („Independence Day“, „2012“) viel Häme und heftige Kritik für den erfundenen kaukasischen „Stonewall“-Hauptcharakter einstecken müssen, der den ersten Stein des Aufstands wirft. Eigentlich soll dies eine Trans*-Person getan haben (wobei sich Aussagen zu den Ereignissen und der Zusammensetzung des Stonewall-Klientels teils widersprechen).
Bei solch einem ikonischen Geschichtsmoment wollen LGBT-Blogger/Aktivisten keine Kompromisse hinnehmen – und sollten es auch nicht unbedingt. Allerdings sind die motzigen Stimmen aus der US-Szene bereits für das vorzeitige Aus der HBO-Serie „Looking“ mitverantwortlich und meckerten auch, dass in „The Danish Girl“ (Start 07.01.) die Rolle der Transsexuellen Lilli Elbe von einem Cis-Mann gespielt wird. In letzter Zeit scheinen die Wachhunde der LGBT-Szene bei jeder politischen Inkorrektheit wie blöde zu kläffen, statt die Repräsentation konstruktiv zu fördern.
Den letzten Todesstoß hat Emmerich seinem Film allerdings selbst versetzt, als er in einem Interview erzählte, dass Danny ein Eingeständnis an ein (heterosexuelles) Mainstream-Publikum ist und er sich als schwuler und weißer Regisseur in sein Werk einbringen müsse. Ob sich Emmerich je gefragt hat, welcher Mainstream den Film sehen will, wenn die dargestellte LGBT-Szene durch die Änderungen vergrault ist? „Stonewall“ ist halt kein Weltkriegs-Thriller-Drama wie „The Imitation Game“ und keine Komödie à la „Birdcage“ und floppte mit 187.674$ an den US-Kinokassen.
In Deutschland wurde der Film der Presse erst drei Tage vor Kinostart gezeigt – und zusätzlich noch ein Veröffentlichungsverbot für die nächsten 36 Stunden verhängt. Aber diese Maßnahme, um die Aufmerksamkeit kurz vor Start zu maximieren, hat nichts gebracht: Der Film floppte auch hierzulande, landete lediglich auf Platz 33 der Kinocharts und hatte nach dem ersten Wochenende keine 3.500 Besucher (durchschnittlich 11 Besucher pro Tag und Kino). Einige Kinos spielen den Film noch eine zweite Woche, aber wenn ihr dies lest, wird der Film bereits aus den meisten Kinos verschwunden sein. Vermutlich bereut Warner es jetzt, den Film nicht auf LGBT-Festivals gezeigt zu haben. Dort hätte man den Film zumindest kontextualisieren können.
Dabei ist der Film gar nicht so unendlich schlecht, wie ihn viele US-Kritiken hinstellt haben. Obwohl die Historie verzerrt wird, funktioniert die bekannte Rezeptur aus Selbstfindung und Heldenepos innerhalb der Filmlogik ganz gut. Der Aufstand wird zwar am Schluss schnell und beinahe albern durchgespult und erinnert teils an ein Musical („Rent“ oder „Westside Story“) ohne Musik. Aber die damalige Situation der Unterdrückung durch Polizei und Gesellschaft wird relativ gut und nicht nur nachvollziehbar, sondern sogar emotional bewegend vermittelt – aber eben aus hauptsächlich weißer Mittelschicht-Sicht. Das Funktionieren des Films hält sich halbwegs in der Waage mit den Einwänden, die ich gegen die Änderung und Darstellung habe. Aufgestoßen ist mir (auch wenn‘s realistisch sein mag), dass sich der weiße Held nicht in den genderqueeren Latino Ray verlieben kann und wie er dies ausdrücklich betonen muss. Emmerich hätte vermutlich einen wesentlich akzeptierteren Film machen können, hätte er die Aufstände aus Sicht von Ray erzählt, der ohnehin wie das Herzstück des Films wirkt. (von Martin Wolkner)

 

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Regisseur und Produzent Roland Emmerichs Interesse an einer Verfilmung der Stonewall-Unruhen wurde geweckt, als er mit Produzent Michael Fossat eine Führung durch das Los Angeles Gay & Lesbian Center machte. Emmerich war entsetzt von der Statistik, dass 40 Prozent der obdachlosen Jugendlichen Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transsexuelle sind. Um ihnen zu helfen, überlegte er, wie er als Filmemacher deutlicher auf dieses Problem aufmerksam machen kann: „So entstand mein Interesse. Ich informierte mich über Stonewall. Ich merkte sofort, dass es da eine Geschichte zu erzählen gibt, und deren Botschaft halte ich für sehr wichtig: Gekämpft haben jene Menschen, die am wenigsten zu verlieren hatten, nicht etwa die politisch aktiven Leute, sondern es waren die Kids, die diese Bar frequentierten, wo man Stricher und aufgedonnerte Transen, überhaupt jede Menge Leute traf, von denen man nie erwartet hätte, dass sie der Polizei Widerstand leisten würden. Doch sie haben es getan. In einem der Bücher über Stonewall steht der Kommentar eines Black Panther, der am dritten Tag der Unruhen dabei war. Er erzählt, wie er darüber staunte, dass die Femme, das heißt: die feministischen Kids, am härtesten kämpften.“ Da wurde Emmerich klar, dass diese Geschichte erzählt werden musste – das war seine Aufgabe.

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„Erstmals haben die Schwulen damals gesagt: ‚Jetzt reicht’s!‘“, erklärt Emmerich. „Sie haben das nicht auf Flugblättern oder bei Treffen verbreitet, sondern sie haben Bierflaschen auf die Polizisten geworfen. Ich bin überzeugt davon, dass derart entscheidende politische Momente unbedingt gewalttätig sein müssen – anders geht es gar nicht. Wenn man sich die Bürgerrechtsbewegung anschaut, was in Selma und anderswo passiert ist – immer ist es dasselbe. Die Gesellschaft ändert sich nur, wenn jemand gewalttätig wird. Erstmals gingen die 5 Schwulen auf die Straße, und sie haben das auf ihre Art gemacht. Was mich besonders beeindruckte: Als bei den Unruhen die Polizei auftauchte und lange Kordons bildete, haben auch die Kids ihre Reihen gebildet und ein vulgäres Lied gesungen. Das war in meinen Augen ein schwuler Aufstand, eine schwule Rebellion.“

Laut Frydman spürte Emmerich genau, dass es jetzt an der Zeit war, „Stonewall“ zu verfilmen: „Wir hatten mit Roland Emmerich schon länger über ein Filmprojekt zu Stonewall gesprochen, aber es wurde immer wieder verschoben, weil er eine Menge zu tun hatte – immerhin ist er einer der führenden Regisseure der Welt“, sagt Frydman über das Projekt, das er und Fossat konzipierten. „Doch eines Tages war er wirklich bereit dazu, er sprudelte über vor Energie. In Obamas zweiter Antrittsrede gibt es eine schöne Alliteration: Er listete Seneca Falls, Selma, Stonewall auf, und eine Minute später schickte Roland mir eine SMS: ‚Wir machen den Film.‘“

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Doch während die Produzenten und Emmerich den Stonewall-Film unbedingt machen wollten, hielt das restliche Hollywood dieses Thema nach wie vor für zu gewagt und umstritten. „Immer noch schrecken die Leute vor Themen zurück, die nicht durch Action-Helden und große Stars eindeutig kommerzielles Potential bieten“, sagt Fossat. „Wir setzen in unserem Fall auf einen Hauptdarsteller und auf ein Ensemble, die alle nicht unbedingt zu den etablierten Kassenstars gehören. Grundsätzlich geht es um Schwule, auch wenn es eine Menge Nebenhandlungen gibt. Jedenfalls stieß das gesamte Projekt eher auf Skepsis – es war für uns also extrem schwierig, und trotzdem hielten wir beharrlich an unserem Plan fest.“